Xenogenesis
a Perry Rhodan Story by Ronald
W. Klemp
Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mit einer bekannten
Computeranimation sind kein Zufall, sondern volle Absicht! -Die
Story zum Filmchen-
1
Sie hatten beschlossen, die Planeten dieses Raumsektors nicht näher
zu untersuchen, sondern sich mit oberflächlichen Ortungen zufriedenzugeben.
Alle wiesen ähnliche Charakteristiken auf; die Scans ergaben,
daß sich die vorhandenen Biostrukturen stark glichen. Doc
Dokklin protestierte; er vermutete, daß eine intelligente
Rasse den Sektor besiedelt hatte. Terraforming (respektive Xenoforming)
mußte für die Ähnlichkeiten der Planeten verantwortlich
sein; parallele Entwicklung allein hätte niemals so viele Welten
betroffen.
Aber es gab keine Anzeichen intelligenter Bewohner, weder Schiffe
noch energetische Emissionen. Mehrere Stunden lauschten sie auf
allen Hyper- und Normalfunkfrequenzen, aber vergeblich. Wenn es
interplanetare Kommunikation gab, so fand sie nicht mit bekannten
Mitteln statt. Und so interessant die planetare Ökologie auch
sein mochte: sie suchten hier nicht nach Siedlungswelten. Ihr Auftrag
an der Großen Leere lautete, Zivilisationen zu finden, Daten
zu sammeln, Auskünfte einzuholen. Kosmokartographie und wissenschaftliche
Untersuchungen waren sekundäre Ziele, die sie zudem im Übermaß
erreicht hatten. Komplexe Daten über mehr als sechshundert
Planeten lagerten in den Speichern der HANDURAK, und die Feldteleskope
des Schiffes hatten Milliarden Kubiklichtjahre fremden Raumes gemessen.
Wirklich wichtige Erkenntnisse hatten sie hingegen nicht gewonnen.
Die Ereignisse an der Großen Leere lagen Jahrmillionen in
der Vergangenheit, und die meisten Zivilisationen hatten sich erst
viel später entwickelt, waren erst Jahrtausende alt. Sie konnten
nichts Bedeutsames wissen. Ein paarmal war die Expedition auf Spuren
einer Organisation gestoßen, die sich Damurial nannte und
der Nachfolger einer gewissen Tanxtuunra sein sollte, einer »Allianz
der tausend Galaxien«. Sie schienen jedoch schon die Grenzen
des Einflußbereiches der Damurial zu durchfliegen, denn die
Organisation war unter den ansässigen Zivilisationen unbedeutend
und relativ unbekannt. Das wenige, was sie erfuhren, deutete darauf
hin, daß die Damurial eine in Jahrhunderttausenden erstarrte,
traditionsgebundene Gruppe war, die ihren Daseinszweck schon lange
überlebt hatte. Rhodan wußte all das wahrscheinlich schon;
die Sampler versprachen mehr Erkenntnisse über das »größte
kosmische Rätsel«, wie die Ennox es nannten.
Sie hatten einen Fernscan des Planeten durchgeführt und waren
bereit, weiterzufliegen, um den weiten Bogen zurück zur BASIS
zu vollenden, als eine Riesenfaust gegen das Schiff schmetterte.
Der Schlag traf die HANDURAK unvorbereitet. Etwas prallte gegen
die Hülle, detonierte jedoch nicht. Die Zentrale wurde erschüttert,
als die künstliche Schwerkraft versuchte, die Schwingung auszugleichen.
Die Schiffszelle dröhnte unter dem Aufprall. Für mehrere
Sekunden verloren die Intelligenzen an Bord den Boden unter den
Füßen. Instrumente gingen zu Bruch, und überall
im Schiff fielen Gegenstände um. Ein besorgniserregendes Knirschen
löste den Alarm in den Außensektionen aus. Schotten fielen.
Rotes Licht überflutete die Korridore, und die Verriegelungen
der Fächer mit Not-SERUNs öffneten sich automatisch.
Dann gewann die Strukturstabilisierung die Oberhand. Energiefelder
konterten Schwingung und Zerrung der Hülle. Roboter schwärmten
durch die Gänge, um Risse und überdehnte Sektionen zu
begutachten. Es dauerte jedoch fast eine halbe Stunde, ehe das Schiff
den Alarmzustand wieder aufhob.
Ein materieller Körper hatte sie getroffen, behauptete die
Ortung, dreißig Tonnen schwer und etwa sechzig Kilometer pro
Sekunde schnell. Er kam aus Richtung des Planeten.
Die Schutzschirme hatten sich nicht eingeschaltet. Das allein war
seltsam, denn jede größere Gesteins- oder Metallmasse
hätte das Sicherheitssystem alarmieren müssen. Hendria,
die gardianische Kommandantin, ließ sich vom Syntron alle
Daten auf ein virtuelles Terminal projizieren und musterte ungläubig
die Dokumentation der Kollision.
»Wir hätten alle tot sein können«, fuhr Hendria
die Syntronik an. »Warum wurden die Schirme nicht aktiviert?«
»Die Masse wurde als organisch identifiziert. Die dauernde
Ortung, die das Schiff vor kleineren Himmelskörpern schützt,
spricht nur auf Gestein oder Metall an und hat daher die Hauptschilde
nicht aktiviert. Die Scanner, die die nähere Umgebung nach
sonstigen Objekten absuchen, haben auf diesen Flugkörper zu
spät reagiert. Wahrscheinlich besaß er einen Ortungsschutz.«
Der Syntron klang ruhig und ausgeglichen wie immer. »Im Normalfall
hätten die Staubschilde das Objekt noch abgefangen, aber zum
Zweck der Beobachtung der Planeten waren sie ebenfalls heruntergefahren.
Leider interferieren die Staubschilde mit den Feldteleskopen.«
»Organisch? Ein Lebewesen?«
»Unbekannt. Es konnten im Moment der Kollision keine näheren
Untersuchungen gemacht werden. Reste des Objekts an der Außenhülle
weisen eine proteinähnliche Struktur auf.«
Die Gardianerin warf einen Seitenblick auf die Monitore, die den
Zustand des Schiffs anzeigten. Alle Schirme waren hochgefahren,
selbst der Paratronschirm, den sie im Laufe der Reise nur selten
aktiviert hatten. Wenn es ein Angriff gewesen sein sollte, waren
sie vorbereitet. Hendria ließ zusätzlich die Waffensysteme
checken.
»Haben wir intelligentes Leben irgendwo entdecken können?«
fragte sie den Blue Lyrüdün Myrkin, den Chef der Ortung.
»Irgend jemand da draußen, der einen Haß auf ungebetene
Gäste hat?«
»Nichts«, gab Lyrüdün zurück. »Bis
zum Moment des Aufpralls hatten die Feldteleskope den ganzen Planeten
schon kartographiert. Keine Strukturen erkennbar, die auf Intelligenzen
hinweisen. Keine Städte, Straßen, Industrie, Häfen,
Flughäfen, Militäreinrichtungen. Wenn da unten jemand
ist, dann hat er sich gut versteckt. Vielleicht gibt es unterirdische
Komplexe, Bunker oder so. Aber ohne Energie...«
»Was hat uns denn getroffen? Es kam doch aus Richtung des
Planeten!«
»Ungefähr«, korrigierte der Syntron. »Es
ist möglich, daß es die Welt in geringem Abstand passiert
hat. Die Ortung hatte das Objekt nicht unter Beobachtung, bis es
tausend Meter vom Schiff entfernt war. Der Kurs kann aus der Sechzigstelsekunde
bis zur Kollision nicht zuverlässig abgeleitet werden. Außerdem
ist es möglich, daß es einen Antrieb besaß und
somit die Richtung wechseln konnte.«
»Wenn es einen Antrieb benutzt hätte«, widersprach
der Blue, »hätten wir es rechtzeitig orten können.«
»Sofern der Antrieb auf einer bekannten Basis beruht«,
gab der Syntron zu bedenken.
»Diese Diskussion führt zu nichts«, stellte die
Kommandantin fest. »Syntron, rufe ein Team zusammen und laß
es mit einer Space-Jet nach dem Objekt suchen. Sechzig Kilometer
pro Sekunde sind nicht viel. Es kann noch nicht weit sein. Lyrüdün,
haben wir Orter, die diesen geheimnisvollen Ortungsschutz durchdringen
können?«
Der Blue lehnte sich zurück. »Selbstverständlich.
Es war nur ein unglücklicher Zufall, daß die einzigen
aktiven Scanner das Objekt nicht erfassen konnten. Es muß
energetisch tot gewesen sein, sonst hätten wir es angemessen.
Das bedeutet, jeder Ortungsschutz ist rein passiv. Ich vermute,
daß die Hüllenproteine ein ablenkendes Kristallgitter
bilden. Die Labors sind dabei, die Reste zu untersuchen.«
Hendrias Schwanz zuckte nervös. Sie wäre gern auf und
ab gegangen, aber die drei Ebenen der Kommandozentrale boten nicht
genug Platz. Ihre Gedanken kreisten noch immer um die Möglichkeit
eines Angriffs. Das fremde Objekt war primitiv; kein hochtechnisierter
Gegner hätte versucht, sie durch Rammen zu zerstören.
Andererseits waren sie mehr als zwei Lichtsekunden vom Planeten
entfernt. Wenn man sie von dort aus unter Beschuß genommen
hatte, besaß man Waffen mit hoher Reichweite. Orbitalkanonen?
Das ergab keinen Sinn. Man schoß nicht mit Kanonenkugeln auf
Schutzschirme. Überhaupt brauchte das Objekt vom Planeten bis
hier -- sie überschlug Geschwindigkeit und Entfernung -- etwa
zehntausend Sekunden, also zwei Komma acht Stunden. Die HANDURAK
hatte diese Position aber erst seit eineinhalb Stunden inne. Als
der Flugkörper den Planeten verließ, waren sie also noch
nicht einmal angekommen.
Damit schied ein Angriff aus. Das Objekt war sicher nicht von einem
getarnten Schiff gekommen, und es hatte auch seinen Kurs nicht geändert.
In beiden Fällen hätten sie irgend etwas geortet. Nein,
der Zusammenprall war wirklich nur ein Zufall (äußerst
unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich), eines jener Ereignisse,
über die man in den Raumfahrermagazinen liest und von denen
man glaubt, sie könnten einem selbst nicht zustoßen,
bis es dann doch soweit ist. Hendria überflog die Schadensberichte.
Es gab keine ernsthaft Verletzten, nur ein paar Prellungen und Beulen.
Die Hülle wurde derzeit repariert; die strukturelle Integrität
des Schiffes war nicht gefährdet. Sie waren glimpflich davongekommen.
Blieb die Frage, wieso das Objekt organische Struktur besaß
und wer es abgeschossen hatte. Niemand ließ mit hohem Energieaufwand
Dinge aus dem Gravitationsschacht eines Planeten in den Raum befördern,
wenn er damit nichts bezwecken wollte. Eine Sonde? Eine Botschaft?
Ein Hilferuf? Das Außenteam, das das Objekt einsammeln sollte
-- sofern es noch auffindbar war --, brachte die Erkenntnis hoffentlich
mit.
Oder war der Flugkörper doch nicht vom Planeten gekommen?
Der Syntron ließ beide Möglichkeiten offen. Frustriert
kämmte Hendria ihr Fell mit den Fingern durch, bis Lyrüdüns
Ausruf sie aus ihren Gedanken riß.
»Ortung! Wir haben einen Energieausbruch auf dem Planeten!«
Hendria starrte auf die Bilder, die der Blue an ihr Terminal übertrug.
Auf der nördlichen Hemisphäre, in der gemäßigten
Klimazone auf der Nachtseite des Planeten, war eine Rakete gestartet
worden. Die Scans wiesen Ähnlichkeiten mit den terranischen
chemischen Raketen des 20. Jahrhunderts auf, aus der Zeit, ehe der
Atomantrieb der STARDUST entwickelt worden war.
»Also gibt es doch intelligente Bewohner«, stellte
die Kommandantin fest. »Aber was für eine Technologie
verwenden sie, wenn wir davon überhaupt nichts anmessen können?
Und wozu dienen diese Abschüsse?« Sie dachte kurz nach.
»Ich werde mir das selbst ansehen. Sag Doc Dokklin Bescheid;
er bekommt seine Chance, sich den Planeten in Person anzusehen.«
2
Doc Dokklin war ein kleiner, dicklicher Mann mit allzuwenig Haaren.
Er arbeitete schon sein halbes Leben lang als Xenobiologe in derselben
Position, obgleich er kompetent genug war, um ein größeres
Labor, vielleicht sogar eine ganze Forschungswelt zu leiten. Sein
Ehrgeiz war jedoch nicht ausgeprägt genug, um eine weiterführende
Karriere anzustreben. Hendria kannte ihn recht gut, immerhin war
er ihr seit mehr als drei Jahren unterstellt, seit die Coma-Expedition
begonnen hatte. Dokklin vergrub sich gern in seiner Arbeit; er war
ein Mensch mit wenig Privatleben, aber in Gesellschaft humorvoll
und freundlich. Vielleicht war seine Menschenkenntnis nicht besonders
groß, aber sein Wissen um andere Völker dafür um
so umfassender. Er hatte Details der gardianischen Kultur im Kopf,
die Hendria selbst nicht ohne weiteres gewußt hätte.
Und er war ein begeisterter Forscher, beseelt von der Neugierde,
getrieben vom Hunger auf fremde Welten, neue Erkenntnisse, faszinierende
Einsichten.
Außer Dokklin nahm Hendria nur einen WISA-Roboter mit, ein
Modell der WISsenschaftlichen Analyse. Er paßte gerade in
die Schleuse einer Space-Jet, wenn er seine Spinnenbeine zusammenfaltete.
»Ich freue mich, daß du dich anders entschieden hast«,
sagte Dokklin. Er wartete bereits in der Zentrale der Jet, gekleidet
in einen makellosen SERUN. Hendria selbst fühlte sich in den
Anzügen unbehaglich: der feste Stoff scheuerte an ihrem Körperfell,
ihr Schwanz schien nie richtig im Futteral zu liegen, und der Helm
wollte nicht zu ihrem fuchsartigen Kopf passen. Die Ohren stießen
ständig gegen die Innenpolsterung, und wenn ihr die Haare über
die Augen fielen, konnte sie sie nicht mit der Hand zur Seite schieben.
Sie war ein Geschöpf der freien Natur, nicht der technologischen
Krücke. Doc Dokklin hingegen hätte mit einem SERUN geboren
worden sein können. Oder mit einem Laborkittel.
»Nichts für ungut, Doc, aber ich tue das nicht, weil
du schon den zehnten Antrag an die Zentrale gerichtet hast. Wenn
Lyrüdün nicht diesen neuen Raketenstart angemessen hätte,
wären wir schon längst weg.« Die Jet wurde von der
HANDURAK ausgestoßen und manövrierte sich an den Planeten
heran. Binnen weniger Minuten waren sie in einen Orbit eingeschwenkt.
»Ich würde das Ganze auf sich beruhen lassen. Wir können
nicht jedem kleinen Rätsel auf den Grund gehen. Dafür
sind wir zu wenige und zu schlecht ausgerüstet. Und meiner
Meinung nach ist die Große Leere auch nicht das ideale Forschungsobjekt.
Wir haben ja noch nicht einmal unsere Nachbargalaxien komplett vermessen
und erforscht.«
»Gibt es etwas Faszinierenderes als die Fremde?« Dokklin
lümmelte sich bequem in seinem Formenergiesessel. »Hey,
ich kann nirgendwo eine Spur von Intelligenzen entdecken.«
Hendria vergewisserte sich, daß die Nahbereichs-Orter korrekt
eingestellt waren. Natürlich waren sie es. Es gab nur kein
intelligentes Leben, das sie hätten anmessen können. Unter
der Jet zog sich ein endloser, vielfältiger Pflanzenteppich
hin, ein Gewirr aus hundert Meter hohen, baumartigen Strukturen
und kleineren, vielfältig geformten organischen Komplexen.
Keine technischen Einrichtungen. Keine intelligenten Wesen. Keine
Tiere. Es gab frei bewegliche Objekte; manche schwebten an rotierenden
Schirmchen umher, andere liefen auf zahllosen Beinchen. Aber die
Zellstruktur verriet sie als Pflanzen.
»Das kann nicht sein«, stieß Hendria hervor.
»In dieser Gegend wurde eine Rakete gestartet! Man kann doch
nicht inmitten einer Wildnis einen Raumhafen anlegen!«
»Man?« sinnierte Dokklin. »Ich kann nicht mal
etwas erkennen, das ich \,\man\`\ nennen würde. Hier gibt\'\s
nicht einmal Insekten. Diese fliegenden Pflanzen scheinen andere
zu bestäuben. Interessant.« Hendria stoppte die Jet mehrere
Kilometer südlich der Stelle, wo der Energieausbruch angemessen
worden war, und gestattete Dokklin einen eingehenden Scan.
Die Pflanzen waren tausendfältig gefärbt; rot und blau
die Bäume, grün und gelb die kleinen Sträucher; braun
und violett die Netze und Röhren, die sich zwischen ihnen spannten.
Überall gab es Farbtupfer, Muster, Signale für die optischen
Systeme, die hier allein die Pflanzen entwickelt zu haben schienen.
Die Scanner waren mit der Analyse der biochemischen Prozesse überfordert.
Piepsend protestierten sie gegen die Überlastung. Dokklin engte
den Scanbereich ein, richtete die Orter mal auf dieses, mal auf
jenes Objekt und begutachtete staunend, was der Syntron daraus errechnete.
»Eine kooperierende Ökologie«, stellte er schließlich
nach mehreren Stunden des Überflugs fest. »Die Pflanzen
kämpfen nicht miteinander um den günstigsten Platz oder
die reichhaltigsten Nährstoffe. Jede besetzt eine komplett
andere Nische. Und sie helfen einander. Es ist fast wie bei einem
mehrzelligen Organismus, wo sich die Zellen quasi auf ganz verschiedene
Rollen eingestellt haben und zum Wohl des Ganzen eine total spezialisierte
Funktion ausführen. Nur daß hier ganze Organismen sich
zusammengeschlossen haben. Einige der Pflanzen bringen nur Bestäuber
hervor und werden von ihrer Umgebung ernährt. Andere scheinen
chemische Fabriken geworden zu sein. Diese Lianen sind hohl, sie
transportieren Flüssigkeiten und Lösungen von einer Pflanze
zur anderen. Und die Komplexität der Hormone... Du liebe Zeit,
damit so etwas sich entwickelt, müssen Jahrmilliarden ins Land
gehen.«
Ein Verdacht kam Hendria. »Doc, ist das alles... ist es intelligent?«
»Definitiv nein. Es besitzt eine gewisse Struktur, aber kein
Zentrum. Es ist einfach kein Gehirn vorhanden. Alle Nerven, wenn
wir sie mal so nennen wollen, verbinden nur lokale Zentren. Mit
einer Ausnahme... Die meisten chemischen Stoffe werden nach Norden
transportiert.«
»In Richtung des Raketenabschusses. Vielleicht sollten wir
uns die Stelle einmal ansehen.« Hendria setzte die Jet wieder
in Bewegung. »Wenn dieses... Wesen ein Gehirn hat, dann dort.«
In hundertfünfzig Metern Höhe, knapp über den Wipfeln
der »Bäume«, schwebte die Jet weiter. Unter ihnen
drehten sich antennenartige Schüsseln, peitschten Ranken, schossen
kompliziert anmutende pflanzliche Flugkörper in die Höhe.
Man konnte sich leicht vorstellen, daß Tiere dort keinen Platz
hatten.
Dann sahen sie es. Es ragte fünfhundert Meter in die Höhe
und wurde von allen Seiten von krummgewachsenen Stämmen gestützt.
Das wabenartige Gewebe, das das ganze Gebilde umflocht, wirkte äußerst
stabil. Die Zuleitungsranken wuchsen hier bis zu einer Dicke von
mehreren Metern an, und die pflanzlichen Chemolabore umwucherten
den gesamten Komplex.
»Ein Gehirn ist das nicht«, stellte Dokklin ironisch
fest.
»Ein Startgerüst«, murmelte Hendria. »Ein
gewachsenes, organisches, lebendes Startgerüst.«
Der Xenobiologe wies ins Innere des Gerüstes. »Dort
unten scheinen die Geschosse zu wachsen.« Hendria hielt die
Jet von der Rampe fern, obgleich sie liebend gern den Kern des Gewächses
begutachtet hätte. Aber wenn hier eine weitere »Rakete«
abgeschossen wurde, wollte sie das kleine Schiff nicht in Schußlinie
haben. Tief unten im Dickicht breitete sich ein Knäuel aus
Leitungen, Knoten, Abzweigungen, Stämmen, Gerüsten, Behältern
und winzigen Fabriken aus. Und ganz im Zentrum blähte sich
eine mächtige Ranke mit einer einzigen Knospe auf. Der Scanner
lieferte mit Hilfe von Mikrosonden ein scharfes Bild davon.
»Die Raketen wachsen auf diese Weise«, behauptete Dokklin.
»Ich glaube, es wird noch ein paar Monate dauern, bis diese
hier reif ist. Aber diese Pflanze hat ja auch gerade erst die letzte
gezündet.«
»Space-Jet? Hier ist Lyrüdün«, meldete sich
der Blue von der HANDURAK. »Ich habe ein neues Energieecho,
noch sehr schwach. Dreihundert Kilometer östlich von euch.«
Hendria ließ die Space-Jet beschleunigen. Das kleine Raumfahrzeug
schoß in einem parabolischen Bogen aus der Atmosphäre
hinaus, beschleunigte auf vielfache Schallgeschwindigkeit und sank
nur Minuten später wieder herab. An der von Lyrüdün
bezeichneten Stelle befand sich ein weiteres Startgerüst. Die
planetare Nacht wich hier langsam der Dämmerung, und die beobachteten
Aktivitäten der Pflanzen nahmen noch um ein Vielfaches zu.
Dieses Startgerüst besaß etwas, was sie beim anderen
nicht gesehen hatten: riesige, metallisch schimmernde Blätter,
die das Innere der Rampe auskleideten. Qualm stieg aus dem Inneren
des Pflanzenkomplexes hervor.
»Abschirmungen«, erklärte Dokklin. »Sie
enthalten viel Eisen, Gold, Kupfer... Anscheinend schützt sich
die Pflanze damit vor dem Verbrennen. Die Hitze wird abgeleitet.
Schau dir die Proteinstruktur an! Kristallin aneinandergelagerte
Molekülketten, diamanthart und trotzdem noch beweglich.«
Hendria hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie war derzeit nicht
an den chemischen Phänomenen interessiert, sondern eher an
den optischen. Die Scanner und Orter zeichneten ohnehin alles syntronisch
auf.
Ein Feuerstrahl schoß aus dem Startgerüst, und auf ihm
ritt ein seltsames Objekt. Qualm verhüllte die gewaltige Pflanzengemeinschaft
darunter, aber die »Rakete« eilte ihm davon. Sie bestand
aus vier ellipsoiden Grundkörpern mit allerlei unregelmäßigen
Auswüchsen. Leitflossen wuchsen aus allen Seiten wie die Stacheln
eines Kaktus. Aus dem hintersten Ellipsoid schoß eine Flammenzunge.
»Wenn ich es nicht sehen würde, würde ich es nicht
glauben«, murmelte Hendria und wies die Space-Jet an, der
Pflanzenrakete in einigem Abstand zu folgen. Das Raumschiff hatte
keine Mühe, das primitive chemische Geschoß einzuholen
und zu begleiten. Nach wenigen Sekunden trennte sich das hinterste
Ellipsoid ab und fiel dem Planeten entgegen. Das dritte Segment
zündete sofort seinen Antrieb, und die Pflanze beschleunigte
weiter. Sie erreichte Fluchtgeschwindigkeit, nachdem sie ein Viertel
des Planeten umrundet hatte. In einer flachen Kurve verließ
sie den Orbit und eilte den Sternen entgegen.
»Ich kann nicht glauben, daß irgendeine Evolution so
etwas hervorbringt«, behauptete die Kommandantin. »Es
ist so... zielgerichtet. Und es bringt keinen Vorteil für die
Pflanze selbst, wenn sie ihre Nachkommenschaft ins All schießt.
Ich meine, wo landen diese Dinger denn?«
Dokklin trommelte mit den Fingern auf der Lehne herum. »Ich
könnte es mir schon vorstellen«, sagte er. »Stell
dir eine kleine Pflanze vor, die ihre Saat davonschleudert, damit
sie weit weg landet. Stell dir vor, die Saat hätte eine Art
chemischen Nachbrenner. So etwas ist nicht ungewöhnlich; es
gibt auf Terra etliche Insekten, die wandelnden Laboratorien gleichen.
Mit der Zeit wird die Pflanze größer, und sie geht eine
Symbiose mit anderen Pflanzen ein. Ihre Saat besiedelt nicht nur
den heimatlichen Kontinent, sondern nahe Inseln. Und die Exemplare
werden immer größer, bis die Saat wie eine Interkontinentalrakete
über Meere hinweggeschossen wird. Der ganze Planet wird überwuchert,
und die ökologische Gemeinschaft wird immer größer.
Irgendwann gibt es keinen freien Fleck mehr auf dieser Welt, und
die Raketenpflanzen sind inzwischen zu Giganten herangewachsen.
Die Saat kann jetzt die Planetenschwerkraft überwinden und
zu anderen Welten aufbrechen.«
»Aber was macht sie da? Sie geht ein!«
»Sicher? Stell dir vor, die anderen Pflanzen in der Symbiose
hängen ihre eigene Saat an die Rakete an. Zuerst wie Parasiten,
aber je enger die Beziehung wird, je mehr sich die Pflanzen spezialisieren,
um so notwendiger wird es für die Raketenpflanze, auch die
Saat der anderen Pflanzen mit an den neuen Siedlungsort zu nehmen.
Ohne die Symbionten könnte sie nicht mehr leben. Ich wette,
diese Rakete dort trägt die Gene der gesamten hiesigen Ökologie
in sich, Samen von jeder einzelnen Pflanze. Vielleicht haben sie
sogar einen einzigen gemeinsamen Chromosomensatz, falls es so etwas
hier gibt. Und ich bin sicher, daß die Ökologie in mehreren
Stufen wächst. Zuerst Pflanzen, die den Boden bereiten, dann
solche, die das Gelände ebnen, dann solche, die die Gerüste
stellen, schließlich die eigentliche Gemeinschaft. Wer weiß,
vielleicht produziert die erste Generation sogar aus dem Gestein
den Sauerstoff und Stickstoff, sozusagen als natürliche Atmosphäreprozessoren.«
»Und was soll der Vorteil für die Pflanze sein? Sie
weiß nichts von den Ablegern.«
»Die Pflanze hat keinen Vorteil. Aber die Ableger. Sie kommen
auf neuen Boden, können sich ungehindert ausbreiten. Und es
sind die Ableger, die die Gene für die Raumfahrt weiterverbreiten.
Mag sein, daß die Mutterpflanze auf der Heimatwelt eingeht,
aber irgendwann schießen die Ableger ihre Saat zurück,
und die neuen Pflanzen überwuchern die ursprünglichen.«
Dokklin faltete die Hände. »Wir wissen ja nicht einmal,
ob das hier die Mutterwelt ist. Wir haben ja schon gesehen, daß
die Biostrukturen aller Welten in diesem Sektor ähnlich sind.
Es sind die Raketenpflanzen, die sie besiedelt haben, nicht irgendeine
Intelligenz. Das Leben findet einen Weg...«
Hendria versuchte sich solch eine Ökologie vorzustellen. Alle
paar Stunden wurde, soweit sie das beobachtet hatten, eine Saatpflanze
gestartet. Wie viele mochten es in einem Jahr sein, in einem Jahrhundert,
in einer Jahrmillion? Tausende würden in der Sonne verglühen
oder auf den sonnennahen und sonnenfernen Planeten zerschellen,
wo ein Überleben selbst für die genügsamen Vorbereiter
unmöglich war. Aber einigen mußte es gelingen, die Schwerkraft
der Himmelskörper auszunutzen, um selbst zu beschleunigen und
das System zu verlassen. Mit der relativ geringen Geschwindigkeit
irrten sie dann Jahrtausende durchs All, bis sie vom nächsten
Stern eingefangen wurden. Und wieder verglühten Tausende in
ihm, und nur wenigen gelang es, auf einem Planeten niederzugehen,
wo der Ökologie eine Möglichkeit des Ansiedelns gegeben
wurde. Doch egal: eine Saat genügte, um am Ende nach Jahrhunderttausenden
die ganze neue Welt in Besitz zu nehmen. Was für ein Beispiel
blinden Eifers! Unintelligentes Leben, das sich anschickte, seinen
ganzen Raumsektor zu überwuchern.
Die Pflanzenrakete hatte mittlerweile ihre letzte Stufe abgestoßen.
Das einzige verbleibende Ellipsoid öffnete sich und spie eine
pfirsichkernartige Kapsel aus. Hendria maß die Endgeschwindigkeit
des Objekts. Ungefähr sechzig Sekundenkilometer, Masse einunddreißig
Tonnen. Genau solch eine Kapsel hatte die HANDURAK getroffen. Da
der Abschuß ungezielt erfolgte, war eine Kollision extrem
unwahrscheinlich, aber in diesem einen Fall hatte der Zufall ihnen
einen Streich gespielt.
Hendria ließ die Kapsel dahinschweben und steuerte die Space-Jet
zurück zum Mutterschiff. Dokklin stürzte sich sofort wieder
in die Arbeit; die Meßdaten hatte er bereits an sein Labor
übertragen. Hendria hingegen nahm sich erst die Zeit, sich
Stück für Stück aus dem elenden SERUN zu schälen.
Sie schüttelte sich. Der enge Anzug hatte ihr ganzes Fell in
krause Locken gedreht.
»Kommandantin?« Zwei Terraner von der Sicherheitsabteilung
kamen in den Hangar. »Wir konnten das Kollisionsobjekt bergen.
Es ist eine Art... Kern.«
Hendria nickte. »Das weiß ich. Wir haben inzwischen
herausgefunden, um was es sich handelt.«
»Was sollen wir damit tun? Es ist stark beschädigt.
Wir haben es vor der Schleuse befestigt; es paßt nicht mehr
in den Hangar, wenn die Jet drin ist.«
Die Gardianerin seufzte. »Zeigt es Doc Dokklin. Er soll sich
die interessanten Stücke herausschneiden. Den Rest könnt
ihr auf Sonnenkurs bringen.« Nicht daß es den Sektor
sicherer machen würde, wenn sie eine Saat vernichteten; immerhin
schwirrten noch Zehntausende solcher Kerne hier herum. Aber die
beschädigte Pflanze taugte sowieso nicht mehr zur Vermehrung.
Die Terraner zogen gehorsam ab. Hendria schüttelte den Kopf
und strich sich die Haare glatt. Sie hoffte, daß Doc Dokklin
nicht auf die Idee kam, die Ökologie in seinem Labor großzuziehen.
Rhodan wäre nicht begeistert von einem zugewucherten Explorer.
In einen terranischen Vorgarten paßte die Raketenpflanze
jedenfalls nicht.
© 1994 by Ronald W. Klemp (Cairyn Playful Otter)
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