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Sie hatten ihres neues Schiff auf den Namen TERRA getauft. In hellem Silber war dieser Name jetzt auch auf der Außenhaut des Schiffes zu lesen. Dienstbare Roboter, die überall auf dem Schiff unterwegs waren, hatten diese Aufgabe übernommen. Gleich nach ihrer Ankunft hatte NATHAN sich gemeldet und ihnen einige Informationen zu dem Schiff gegeben. Unter anderem hatte er ihnen mitgeteilt, dass der Bordcomputer der TERRA auch biologische Komponenten enthielt. Näheres hatte er dazu nicht gesagt. Etwas merkwürdig hatte es aber schon geklungen, als NATHAN von seinen Gästen, die ihn jetzt wieder verlassen hätten, gesprochen hatte. Die Einrichtung der Zentrale war elegant. Wie das ganze Raumschiff war auch die Inneneinrichtung in schlichtem Weiß gehalten. Lediglich die Farbe der Steuerungskonsolen wich davon ab, fügte sich aber dennoch nahtlos in den Gesamteindruck der Zentrale ein. Alles schien wie natürlich gewachsen. Auch ihr Wohnbereich war sehr geschmackvoll gestaltet. Außer diesem und dem Freizeit- und Fitnessbereich waren Ihnen keine weiteren Räumlichkeiten zugänglich. Nur die Roboter wuselten herum, verschwanden manchmal in den Wänden, ohne dass sich eine Öffnung auftat. Aber die Freunde hatten ohnehin keinen Blick für die Roboter, so sehr waren sie von der Einrichtung ihres neuen Raumschiffs fasziniert. Paul nahm in seinem Sessel Platz. Alles schien ihm bekannt, es war nur irgendwie moderner. Auch die Steuerzentrale für Ortung und Navigation, die Waffensteuerung und die Kommunikationszentrale zeigte seinen Freunden das gewohnte Bild. Dagmar aktivierte ihre Systeme. In einer dreidimensionaler Projektion erschien das SOL-System. Der Standort der TERRA war markiert. Stephan hatte die Waffensteuerung noch nicht aktiviert und unterhielt sich leise mit Jack und Boris, die in der Zentrale herumstanden; ihre Aufgaben in diesem Raumschiff waren noch nicht bekannt. »Bordcomputer, welche Aufgaben sind für unsere neuen Freunde vorgesehen?« fragte Paul. »Sie werden die Begleitschiffe übernehmen«, meldete sich zum erstenmal die Stimme ihres Bordcomputers. Es war eine weibliche Stimme. »Bitte nennt mich THELA. Die Begleitschiffe der TERRA warten auf ihre Kommandanten. Bittet tretet durch den Transmitter.« Clara und Anita erschienen in der Zentrale. Sie hatte die Worte THELAS mitgehört und folgten Jack und Boris durch den Transmitter. Als erstes kehrte Boris zurück. An seiner Reaktion konnte Paul erkennen, was die kurze Inspektion ergeben hatte. »In der Zentrale sieht es fast genauso aus wie hier. Es gibt dort aber nur einen Platz, den des Piloten. Auch der Wohnbereich ist toll eingerichtet. Wenn ich mit diesem Schiff fliege, habe ich alles, was ich brauche. Und THELA hat gesagt, es wäre mein Schiff. Die TERRA 3 ist mein Schiff.« Auch die anderen drei kamen kurze Zeit später zurück. Alle waren hellauf begeistert. »Wir sind startbereit«, meldete sich THELAS sanfte Stimme. Paul schob die Steuerung für den Antrieb nach vorn. Kaum merklich verschwand die Marsoberfläche unter ihnen. Dagmar hatte den Kurs eingegeben. Sie würden die Pluto-Bahn passieren und in einem Abstand von 100.000 km vor dem Ultratron-Schirm stoppen. Dort würde es sich zeigen, ob der imaginäre Schlüssel ihnen die Passage durch den Schirm erlauben würde; jener Schirm, der das SOL-System seit nunmehr 50 Jahrtausenden vom übrigen Weltall abschloss. Hinter dem Schirm begann das Unbekannte. Selbst NATHAN hatte ihnen nur wenige Informationen mitgeben können. Sie hatten den vorgesehenen Abstand zum Ultratron-Schirm erreicht. Die TERRA wartete. »Schlüssel wird aktiviert.« Dort wo vorher noch der schwarze Weltraum gewesen war, erschien ein dunkelblaues Feld. Vorsichtig beschleunigte Paul das Schiff. »Einfliegen«, war der knappe Kommentar THELAS. Die elegante Nase der TERRA schob sich langsam in das Feld hinein. Als das blaue Feld das Schiff völlig umschlossen hatte, bemerkte THELA lakonisch: »Übernehme Steuerung, Transportfeld tritt in Aktion.« Dagmar hatte die Ortung in die Mitte der Zentrale projiziert, sodass alle sehen konnten, was nun passierte. Die Außenwand des blauen Transportfeldes näherte sich der inneren Hülle des Ultratron-Schirmes. Langsam verschmolz sie mit dem Schirm, wurde zu einem Teil von ihm. Angespannt verfolgten die Freunde, wie der Ultratron-Schirm vor ihnen sich jetzt nach außen wölbte und sie umschloss. Kurze Zeit später löste sich das Transportfeld vom Ultratron-Schirm. Sie waren durch. »Verlasse Transportfeld...« Eine tolle Stimmung herrschte an Bord des Prospektorschiffes. Ausgelassen hatten sie ihren letzten Fund gefeiert. Der Planet hatte wirklich viel zu bieten gehabt. Unmengen von Metallen und Elektronikschrott füllte ihre Lagerräume. Das wird einen guten Preis geben, dachte sich Omi Omikron und stieß mit seinem Freund und Navigator Fetho Fethon an. »Was kommt denn da?« Fetho Fethon schaute auf den Bildschirm der Nahortung. »Ein Schiff der kaiserlichen Flotte? Wenn die uns in der verbotenen Zone erwischen...« Omi Omikron stürzte zu den Kontrollen seines Schiffes. Die OMIKRON MXIV beschleunigte. »Sieht aus wie eine Raumjacht. Aber ... mein Gott, das Ding wird ja immer größer«, antwortete Fetho. »Kommt es näher?« Omi Omikron wuchtete den Geschwindigkeitsregler auf Vollschub. »Nein, es ... wächst! Bloß schnell weg hier.« »Definitiv kein Schiff der kaiserlichen Flotte.« Die Prospektoren wussten, selbst die großen Privatjachten der Könige und Fürsten waren grau. Grau war die Farbe aller kaiserlichen Schiffe. Und die Jachten flogen nie ohne Geleitschutz. »Das SOL-System befindet sich in einem Mikrokosmos, so wie früher die kosmischen Burgen der sieben Mächtigen. Selbst wenn es jemandem gelänge, diesen Mikrokosmos aufzuspüren, würde der Ultratron-Schirm immer noch ein unüberwindliches Hindernis darstellen. Das Transportfeld kann auch von außen nur mit dem Schlüssel aktiviert werden. Während des Austritts aus dem Transportfeld habe ich übrigens ein Raumschiff geortet. Es ist inzwischen in den Hyperraumflug übergegangen. Man hat uns aber bemerkt.« »Probleme?« »Nein.« Paul übernahm die TERRA wieder in Handsteuerung. Die Markierung auf der weißen Skala der Geschwindigkeitsanzeige kletterte schnell nach oben. »40% der Lichtgeschwindigkeit erreicht«, meldete Dagmar, »steigt weiter an. Zielstern in der Ortung.« Als Zielstern hatten sie sich die grellblaue Sonne Elsus I ausgesucht, die nach NATHANS alten Unterlagen nicht über bewohnbare Planeten verfügte. Gemeinsam mit ihrem dunklen Begleiter Elsus II war sie knapp 800 Lichtjahre von ihrem jetzigen Standort entfernt. Paul erhöhte die Geschwindigkeit weiter. Aus seiner Hypnoschulung wusste er, dass das Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit mit besonderen Effekten verbunden war, je nachdem welcher Antrieb benutzt wurde. Über den Überlichtantrieb der TERRA wussten sie nichts. Gespannt wartete er ab. Die Anzeige des Geschwindigkeitsdisplays hatte die 50% Markierung erreicht. »Bei mir haben sich neue Systeme aktiviert«, rief Dagmar. Michele schaute auf die Bildschirme der Außenbeobachtung. Dort hatte sich nichts verändert. Auf Pauls Display war jedoch eine Veränderung festzustellen. Der bisher weiße Hintergrund der Anzeige für die Geschwindigkeit hatte jetzt eine gelbe Farbe angenommen. Die Markierung war wieder nahe beim Nullpunkt. »Ende der Hypertaktphase in 3 Minuten.« THELAS kurze Kommentare gingen ihnen langsam auf die Nerven. Hypertakt? Sie wussten, dass die SOL, ein uraltes Raumschiff der Terraner, mit so einem Treibwerk ausgerüstet worden war, als es sich einst in der Gewalt der Kosmokraten befunden hatte. Sie fragten THELA danach und erfuhren einiges über die Funktionsweise dieses Antriebs. Die Geschwindigkeitsanzeige wechselte wieder auf Weiß. Vor Ihnen schickte eine Riesensonne ihr grellblaues Licht in den Raum. »Wir sind angekommen!« Dagmar sah Michele an. Zusammen mit Stephan, Paul, Jack, Boris, Clara und Anita waren sie die ersten Angehörigen der neuen Menschheit, die mit Überlichtgeschwindigkeit geflogen waren. In einem Schiff, von dem sie fast nichts wussten. Und das ihnen sicherlich noch einige Überraschungen bieten würde. Der Alarm schrillte durch die Zentrale. Die Schutzschirme fuhren hoch. »Ortung. Wir werden angriffen.« Als der Schiffscomputer das fremde Schiff im Orbit um die blaue Riesensonne Elsus I geortet hatte, hatte THELA die Schutzschirme aktiviert. Die Ortung zeigte das fremde Schiff. Es hatte Kugelform und nach den Angaben THELAS einen Durchmesser von rd. 800 Metern. Ein mächtiges Schiff. Es hatte die TERRA ohne jede Warnung angegriffen. Salve um Salve schlug in die hochgefahrenen Schirme. Michele versuchte, eine Funkverbindung herzustellen. In der galaktischen Einheitssprache, die sie dank NATHANS Hypnoschulung alle beherrschten, jagte sie ihren Spruch hinaus: »Sofort Angriff stoppen! Bitte nehmen Sie Verbindung auf.« »Kaiserliches Schlachtschiff PROKUNDA an fremdes Schiff: Ergeben Sie sich und fahren Sie sofort ihre Schutzschirme herunter! Dies ist Ihre allerletzte Chance!« »Wieso greifen die uns an?« Micheles Frage stand noch im Raum, als die Antwort schon in Form einer neuen Salve bei ihnen eintraf. Stephan machte sich fertig. »Wollen doch mal sehen, was wir so anzubieten haben«, sagte er und aktivierte seine Feuerorgel. »Nein!« Das Kommando THELAS war deutlich. »Wir ziehen uns zurück. Ich habe genug Informationen.« Die Energieerzeuger für die Normaltriebwerke heulten kurz auf. Die TERRA machte einen Satz nach vorn und beschleunigte voll. Als die Geschwindigkeit 20% der Lichtgeschwindigkeit erreicht hatte, wurde es um sie herum schwarz. Der Weltraum verschwand. Nebelige Schlieren erschienen auf den Ortungsschirmen. Der anschließende Rücksturz in den Normalraum verlief für die menschliche Besatzung genauso schmerzhaft wie das plötzliche Eintauchen in den Hyperraum vorher. »Eine Transition«, bemerkte Jack lakonisch. »Richtig! Wir dürfen unsere Stärke nicht dem erstbesten Schiff zeigen, das unseren Kurs kreuzt. Außerdem ist nicht bekannt, über welche Waffen diese Schiffe verfügen. Nach der Auswertung der Schirmbelastung bestand allerdings nie eine Gefahr für die TERRA. Während des Beschusses habe ich den fremden Schiffscomputer ausgelotet. Nach den geltenden galaktischen Gesetzen sind Raumschiffe ab einer Größe von 100 Metern verboten. Ebenso ist es Vorschrift, in Anwesenheit eines kaiserlichen Schiffes sofort die Schutzschirme zu deaktivieren. Schon wenn eine dieser Bestimmungen verletzt wird, haben die kaiserlichen Kriegsschiffe dies mit der sofortigen Vernichtung des betreffenden Schiffes zu ahnden.« »Kaiserliche Kriegsschiffe?« »Ja, viel weiß ich nicht darüber. NATHAN hat über seine Außensonde einige Informationen gesammelt. Die großen galaktischen Völker sind Königreiche, die Kleineren Fürstentümer. Die galaktische Grafen regieren die sogenannten unabhängigen Sternsysteme. Und über allen steht der Kaiser. Die Flotte des Kaisers ist bei weitem die größte. Es liegen keine Informationen über die Zahl der kaiserlichen Schlachtschiffe vor. Sicher ist nur, dass sie größer ist und besser bewaffnet, als alle Raumschiffe der Königreiche und Fürstentümer zusammen. Über den galaktischen Kaiser ist nichts bekannt. Niemand weiß, wer er ist und wo er residiert.« »Das hört sich aber nicht sehr demokratisch an«, wandte Dagmar ein. »Das Wort Demokratie und alle seine Ableitungen stehen auf dem Index. Sein Gebrauch wird bestraft. Ebenso ist jede Form von Kritik an den kaiserlichen Gesetzen und Verordnungen streng verboten.« Eine erregte Diskussion setzte ein. Sie alle waren in Demokratien groß geworden und waren an Prinzipien wie Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit, u.s.w. gewöhnt. Auch Clara Lubow und Boris Walter hatten die Demokratisierung ihres Landes in den letzten Jahren schätzen gelernt. Unbehagen über die Lage in der Galaxis machte sich breit. »Gibt es so etwas wie Widerstand?« fragten sie ihren Bordcomputer. »Es hat ihn wohl gegeben. Aber die kaiserliche Flotte hat jeden Widerstand brutal beendet. Planeten wurden dabei vernichtet und Milliarden Lebewesen sind umgekommen. Jetzt herrscht die Angst über die Galaxis. Und die Angst hat einen Namen: Der galaktische Kaiser!« Sie waren nach der Transition in einem sternenarmen Sektor der Milchstraße herausgekommen und beratschlagten, was sie unternehmen sollten. »He, THELA, wie sollen wir die Spur der verschollenen Terraner aufnehmen, wenn wir nirgends vor den kaiserlichen Schiffen sicher sind?« fragte Boris Walter. »Oder sollen wir mit den Begleitschiffen ausschwärmen, um die Chance zu vergrößern, einen Hinweis zu finden?« »Ausschwärmen? Mit vier oder fünf Schiffen?« So etwas wie Humor klang aus der Stimme THELAS. »Das kaiserliche Schiff hat seine Entdeckung doch sicher nicht für sich behalten. Die haben mehrere Hyperfunksprüche abgesetzt, bevor wir gefloh... äh, wir uns zurückgezogen haben«, meinte Michele. »Genau, die wissen jetzt, das wir da sind.« Anita Powers war ungeduldig. Gern hätte sie sich in ihre TERRA 2 gesetzt und einen kleinen Erkundungsflug gemacht. »Am besten wäre es, wenn wir Verbündete finden würden. J.J., was meinst du dazu?« »Boris, auch ich würde mich gern in meine TERRA 4 setzen, aber wir wissen nicht, wo wir ansetzen sollen. Und, das ist das Wichtigste, wir wissen nicht, wie stark unsere Schiffe sind. Können wir uns auf ein Gefecht mit den kaiserlichen Raumschiffen einlassen?« »Was wir brauchen, ist ein Signal«, meinte Paul. »Etwas, was in der Galaxis für Unruhe sorgt.« »Wie wär's mit Stänkern... ?« Clara Lubow lachte selbst, als sie ihren Vorschlag den anderen erläuterte. »THELA, ist unser Schiff stark genug geschützt, um kurzzeitig den Angriffen zahlreicher Schlachtschiffe der kaiserlichen Flotte standzuhalten?« »Ich denke schon. Nach der Auswertung des Beschusses durch das kaiserliche Schlachtschiff wird der Paratron-Schirm dem konzentrierten Angriff einer Flotte durchaus solange standhalten können, bis wir uns zurückziehen können. Allerdings weiß ich nicht, wie weit die Waffentechnik in 50 Jahrtausenden wirklich fortgeschritten ist. Es schient nicht viel Neues zu geben, aber es scheint vielleicht nur so. Wir sollten vorsichtig sein.« »Hast du Informationen, wo die letzte Strafaktion der kaiserlichen Flotte stattgefunden hat, THELA?« »Aus dem Logbuch des kaiserlichen Schiffes ging hervor, dass es vor 8 Jahren an einer Strafaktion im System Hora IV teilgenommen hat. Der Planet wurde nicht vernichtet, weil die Horaner sich ergeben haben. Heute regiert dort der galaktische Graf Tezeter, der als damaliger Kommandant der PROKUNDA den Einsatz gegen das Hora-System geleitet hat. Tezeter soll in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich sein. Zahlreiche Beschwerden über ihn gelangten an den kaiserlichen Hof, wurden dort jedoch nicht beachtet. Aus dem Logbuch ging auch hervor, dass Tezeter ein Liebhaber klassischer Musik ist.« »Ausgezeichnet. Freunde lasst uns die Segel setzen und im Hora-System etwas herumstänkern. Und ich hab auch schon eine Idee...« Paul ging kurz in seinen Kabine, um etwas von seinen persönlichen Sachen zu holen. Als er wiederkam, konnte er sich das Lachen fast nicht mehr verkneifen. Er erklärten ihnen seinen Plan. Alle waren begeistert und begannen damit, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Paul klärte er die technischen Einzelheiten mit dem Schiffscomputer THELA ab und steckte etwas in einen Eingabeschacht des Schiffsrechners. Die TERRA nahm Fahrt auf. »Sie sind ihren Vorfahren sehr ähnlich. Herr Graf wird überrascht sein...« Langeweile war noch das Angenehmste, wenn man im Dienst des galaktischen Grafen Tezeter stand. Seit 8 Jahren regierte der Graf schon das Sonnensystem um den Planeten Hora IV. Er wurde nicht müde, die Bevölkerung des Planeten zu schikanieren. Aber auch seine eigenen Leute blieben nicht verschont. Wenn mal wieder ein hoher Repräsentant aus der weiten Umgebung des kaiserlichen Hofs sein Erscheinen angekündigt hatte, stand militärischer Drill auf dem Dienstplan; und zwar von morgens bis abends. Die Bevölkerung musste Jubelrufe üben und heftig mit den Fähnchen in den kaiserlichen Farben winken. Wenn der kaiserliche Schleimlecker nach seiner Inspektion nicht vollends zufrieden war, ordnete Tezeter Strafaktionen gegen die Bevölkerung an. Hochwertige Güter wurden vom Markt genommen, im planetarischen Fernsehen lief nur noch Werbung, es gab nur Körnerbrot mit Diätmargarine, usw. Tezeter hatte immer neue Ideen, wie sie die Bevölkerung des Planeten schikanieren konnten. Warum hatten sie es auch vor 8 Jahren gewagt, Kritik an den kaiserlichen Ordnung zu äußern? Wie gesagt, Langeweile war noch das angenehmste, was den Leuten auf Hora IV so zustoßen konnte. Hoher galaktischer Besuch hatte sich nicht angekündigt; die Folgen der letzten Strafaktion hatte Tezeter weitgehend zurückgenommen. Weitgehend. Bis auf Gallo, den Pfeifer! Diese Musik dröhnte aus allen Lautsprechern des Planeten. Selbst in den entferntesten Bergregionen wurde die Bevölkerung vom Gedudel Gallos nicht verschont. Tezeter räkelte sich auf seinem Thron und genoss die Musik. Keiner in der Galaxis wusste, wer Gallo war. Er wusste es. Es war seine Musik, er war Gallo, der Pfeifer! Ihm war schon klar, dass er die Pfeife eigentlich nicht spielen konnte, aber die Banausen auf Hora IV waren nun mal sein Publikum. Ausbuhen oder weglaufen, das war ja nicht drin. Er hatte seine engsten Vertrauten in seinem Thronsaal versammelt; der Thronsaal war gleichzeitig die Steuerzentrale des Planeten. Von hier aus wurde alles kontrolliert. Von der Raumüberwachung bis zu den Kameras auf den Planeten, von den Aufenthaltsräumen der Besatzung seiner kleinen Flotte bis zu den Tempeln, in denen die Bevölkerung dem galaktischen Kaiser zu huldigen hatte. In dem Augenblick höchsten Genusses, als Gallo der Pfeifer zu einer seiner gefürchteten Höhenflüge ansetzte... ...erschütterte eine Explosion der Orter den Thronsaal. Metallfetzen flogen durch die Luft. Alarmsirenen begannen zu quäken. »Eine Transition! In unmittelbarer Nähe des Planeten ein Raumschiff transitiert«, rief Mulm, einer der engsten Berater Tezeters. »Transitionsschiffe gibt es nur in den Geschichtsbüchern«, tadelte ihn sein Graf. »Sämtliche Orter des Planeten sind durchgeschlagen. Wir sind blind.« Die schwache Stimme Mulms war in dem Lärm der Sirenen fast nicht zu hören. Der General gab Alarm für die Raumschiffe. Über Funk erhielt er die ersten Informationen. Danach war tatsächlich ein Raumschiff mit Hilfe des altmodischen Transitionsantriebes in unmittelbarer Nähe des Planeten aus dem Hyperraum gebrochen. »Wie groß?« brüllte der General in sein Funkgerät. Die Antwort war im gesamten Thronsaal zu verstehen, weil ein Lakai den Funk dienstbeflissen auf den Hauptschirm gelegt hatte. »Illegal, zu groß, viel... zu... groß... !« »Angreifen und vernichten!« Die Kommandos kamen jetzt präzise. Der General ließ sich über den Transmitter im Thronsaal zu seinem Flaggschiff abstrahlen. Er war kaum verschwunden, da schlug es erneut im Thronsaal ein. Nein, diesmal waren keine technischen Geräte zerstört worden, diesmal war alles anders. Ein lauter und tief-frequenter Ton erschütterte den Thronsaal. Kurz danach folgte die nächste Erschütterung, danach wieder eine. Menschen von der Erde würden es wissen, was da so barbarisch die gräfliche Ruhe ein für allemal beendete: Glockenschläge! »Der Ton läuft über alle Lautsprecher des Planeten«, rief einer der Lakaien. »Abschalten, sofort abschalten«, schrie Tezeter. »Nicht möglich, unsere Sender sind lahmgelegt. Die regionalen Funkempfänger erhalten ihre Signale von außen, alles wird überlagert.« Die Kopfschmerzen nach der Transition ließen langsam nach. Michele hatte die Schiffssender hochgefahren. Sie mochte die Musik nicht besonders, die jetzt über die Sender ging. Aber es war ja Pauls Plan und auch Pauls CD, die von THELA, dem Schiffscomputer, ausgelesen worden war. »Musste es gerade AC/DC sein?« fragte sie Paul. »Hell's Bells ist genau die richtige Medizin für die da unten. Die Glockenschläge am Anfang des Songs machen deren Kopf richtig frei.« Nun folgte Phase 2 ihres Planes. Unter dem Schutz mehrfach gestaffelter Schutzschirme drangen sie in die Atmosphäre des Planeten ein und überflogen zuerst die Hauptstadt des Planeten und danach die anderen großen Städte. Den Bewohnern bot sich ein unglaublicher Anblick. In weniger als 2000 Metern Höhe zog ein Raumschiff majestätisch seine Bahn. Und dieses Raumschiff hatte nicht die graue Farbe der verhassten kaiserlichen Flotte, sondern es war weiß. Es hatte auch keine Kugelform, es war lang gestreckt und trotz seiner Größe äußerst elegant. Über eine Stunde lang zog es unbehelligt sein Bahn über den Planeten, bis die Raumschiffe des Grafen eingriffen. Dann ging alles sehr schnell. Trotz der Nähe des Planeten setzten die kaiserlichen Schiffe schwere Waffen ein. Die TERRA zog sich zurück. Aber nur soweit, das der Beschuss der Schlachtschiffe den Planeten den Planeten nicht gefährdete. Michele hatte die Ortung auf die Schiffssender gelegt. Auf dem Planeten konnte nun jeder die sich abzeichnende Raumschlacht verfolgen. 20 Schlachtschiffe mit je 800 Metern Durchmesser und ein paar kleinere Einheiten nahmen die TERRA ins Kreuzfeuer. Salve um Salve hämmerte in die Schutzschirme. Natürlich hatte Stephan den Paratron-Schirm aktiviert und beobachtete interessiert die Anzeigen für die Schirmbelastung. Sie pendelten so um die 5%. THELA meldete sich: »Phase 3 läuft an; Transpuls-Kanonen sind freigegeben. Ziele erfasst.« Und jetzt schlug die TERRA zu! Die Kameras in der Zentrale zeigten den Bewohnern der Planeten Hora IV wie Stephan lässig auf die Auslöser seiner Waffensteuerung drückte. Natürlich hatte er das Wissen um die Wirkungsweise dieser Waffe schon in einer seiner Hypnoschulungen erhalten. Aber erst jetzt wurde ihm dieses Wissen bewusst und er konnte es nutzen. Um die kaiserlichen Schlachtschiffe herum riss der Weltraum auf. Tiefrote Felder erfassten die Schiffe, die von einer Sekunde zur anderen von dem roten Feld verschlungen wurden und verschwanden. Dann kehrte die Schwärze des Weltraums zurück. Für die Beobachter auf dem Planeten schien es so, als seien die Schiffe vernichtet worden. Die Crew der TERRA wußte es allerdings besser. Stephan hat die Pulsstärke der Geschütze so eingestellt, dass die Schiffe innerhalb einer Dunkelwolke in den Normalraum zurückkehren würden. Bis die Mannschaften sich von dem Schock erholt hatten und den Rückweg aus der Dunkelwolke gefunden hatten, würden sicherlich mehrere Tage vergehen. Michele setzte ihren vorbereiteten Funkspruch ab. Sie hatte auch die starken Hyperfunksender der TERRA zugeschaltet: »Leider können wir Ihrem Planeten keinen dauerhaften Schutz vor der Macht des galaktischen Kaisers und seiner Vasallen bieten. Doch irgendwann wird die Freiheit wieder in die Milchstrasse zurückkehren und dann wird auch Hora IV wieder frei sein. Verlieren Sie nicht den Mut!« J.J. legte noch einen drauf. Seine Stimme war laut und deutlich auf allen Hyperfunkkanälen der Galaxis zu hören. Das Lied wurde bald schon überall in der Galaxis gesungen. Meist nur heimlich, aber manchmal hörte man es auch schon auf den Basaren und in den Kneipen: Gar groß war das Gezeter Die TERRA verließ das Hora-System mit Hilfe ihres Transitionsantriebes, nachdem ihre Aktion dort ein voller Erfolg gewesen war. In einer Entfernung von 150 Lichtjahren kehrten Sie in den Normalraum zurück und benutzen ihr Hypertakt-Triebwerk für den Weiterflug. Ihr Ziel war der Leerraum zwischen den Spiralarmen der Milchstraße. Dort wollten sie beraten, wie sie weiter vorgehen würden. Ihnen war klar, dass sie trotz der Stärke ihres Schiffes die Macht des galaktischen Kaisers nicht ernsthaft gefährden konnten. Sie hatten zwar ein Signal gesetzt und ein wenig am Lack des Kaiserreiches gekratzt, aber mehr war im Moment nicht drin. Das sahen Jack, Boris, Clara und Anita anders; sie wollten mit ihren Schiffen Unruhe in der Galaxis verbreiten und so den unterdrückten Völkern helfen. Der Bordcomputer THELA widersprach heftig: »Wir sind viel zu wenige, um wirklich erfolgreich sein zu können. Was wir brauchen, sind Verbündete. Aus der Auswertung des Hyperfunkverkehrs weiß ich, dass wir in der Milchstraße keine Unterstützung finden werden. Es gibt zwar einige Völker, die uns bei einem Befreiungskampf vielleicht unterstützen würden, aber diese Völker sind schwach und sie verfügen nicht einmal über eine Hand voll kampftauglicher Schiffe. Und unser Auftrag ist nicht die Galaxis von der Unterdrückung zu befreien, sondern die verschollenen Terraner zu suchen! Dafür hat NATHAN dieses Schiff gebaut und aus dem gleichen Grund sind wir auch mitgeflogen.« »Ihr?« Dagmar war verwundert. Zum ersten Mal sprach der Bordcomputer von sich in der Mehrzahl. »Ja, wir sind zwei Angehörige eines uralten Volkes. Unsere Bewusstseine leben innerhalb des Bordcomputers. Wir haben NATHAN geholfen, dieses Schiff zu bauen. Weitere Auskünfte können wir euch nicht geben. Aber seid sicher: THELA, das ist der Bordcomputer und das sind wir; und THELA ist Euer Freund und wird Euch immer zur Seite stehen. Habt also Vertrauen.« Paul hatte die Worte THELAS mit Spannung verfolgt. Endlich hatte sich ein weiterer kleiner Zipfel des Geheimnisses um ihr Schiff gelüftet. »Ich möchte einen Kompromiss vorschlagen«, sagte Paul. »Wie wäre es, wenn die vier Begleitschiffe die Galaxis nach Spuren der verschollenen Terraner absuchen würden und dabei, so hier und da, ein wenig unterstützend eingreifen ... ? Sind die Begleitschiffe ausreichend stark geschützt, um eine solche Aufgabe zu übernehmen?« »Sie sind es«, war die lapidare Antwort THELAS. »Treffpunkt ist die rote Riesensonne Beteigeuze, die Daten sind in den Schiffscomputern gespeichert«, meinte Dagmar. »Ich schlage vor, heute in 4 Wochen.« Nach kurzer Diskussion stimmten alle zu. Clara Lubow, Anita Powers Boris Walter und Jack Johnson ließen sich über die Transmitter in der Zentrale der TERRA zu ihren Schiffen abstrahlen. Zum zweiten mal in seinem Leben und in der Geschichte dieses Schiffes betrat Boris die Zentrale seines Raumers. »TERRA 3 ... Kein schöner Name für ein Schiff diesen Kalibers!« Offenbar fühlte sich der Zentralcomputer der TERRA, THELA, angesprochen. »Es steht dir frei, diesem Schiff einen eigenen Namen zu geben, du wirst dich lange hier an Bord aufhalten.« Boris Walter, jener leicht untersetzte Mann mit den blonden Haaren, verfiel in tiefes Grübeln, zig Namen fielen ihm ein, er fand jedoch, dass er sich aus Verbundenheit zu seiner alten Heimat Russland irgendwas russisches einfallen lassen sollte. »MOSKAU, WODKA, WOLGA ... Nein alles nicht das richtige, kein Name für ein Raumschiff dieser Güte.« Instinktiv nahm er die Denkerpose ein, dies war ihm in all den Jahren in der russischen Raumabwehr zu eigen geworden, schon oft hatte er schwierige Entscheidungen getroffen, Entscheidungen auf Leben und Tod. »MOLOKKO!« platzte es schließlich aus ihm heraus. Was passte für ein weißes Schiff besser als das russische Wort für Milch, den wie auch das Hauptschiff, die TERRA, war sein Begleitschiff ebenfalls schneeweiß. Für ihn war es klar, dass dieser Raumer fortan den Namen MOLOKKO tragen musste. Und wie nicht anders zu erwarten, hatte THELA auch diesen Monolog mitverfolgt. »MOLOKKO wahrlich, ein schöner Name! Ich habe ihn in meine Speicher aufgenommen!« »Privatsphäre ist wohl an Bord dieser Schiffe nicht, häh?« Sichtlich erbost darüber, ständig beobachtet und abgehört zu werden, trat Boris wieder durch den Transmitter, um auf die TERRA zurückzukehren. Am Abend vor ihrer Abreise hatten sie noch einmal richtig gefeiert. THELA hatte dazu quasi ihre Hausbar geöffnet. Verkatert kamen Paul, Steph, Dagmar und Michele am nächsten Tag aus ihren Wohnbereichen. Auch die beiden amerikanischen Raumfahrer, Jack und Anita waren sichtlich angeschlagen. Einzig allein seine russische Kollegin Clara hinterließ bei ihm einen fitten Eindruck. »Jaja, die Wessis vertragen einfach keinen guten alten Wodka«, witzelte Boris mit Clara. »TERRA 1 startklar«, meldete sich Clara. »TERRA 2 ebenfalls«, hörten sie jetzt die Stimme Anitas. »Hier J.J.; die TERRA 4 ist natürlich auch startklar!« Noch fehlte die Klarmeldung von Boris Walter aus seiner TERRA 3. »TERRA 3 hat das Kompakte Feld bereits verlassen«, vernahmen sie die sanfte Stimme THELAS. »Hier Paul. Boris, du hättest vielleicht die Startfreigabe abwarten können. Ich dachte, du wärst beim Militär gewesen. Da lernt man doch so was. Die TERRA 3 sieht übrigens gut aus. Sie hat die Form einer Kugel. Größe, Moment ...« Paul schaute zu Dagmar hinüber. »500 Meter Durchmesser, ein Riesenschiff, aber ... kann doch gar nicht sein. Die TERRA ist zwar 1200 Meter lang; der eigentliche Schiffskörper ist jedoch nirgendwo 500 Meter breit!« Dagmar prüfte ihre Systeme; die Angaben stimmten. »Achtet auf den Start der anderen Begleitschiffe.« Fasziniert beobachteten sie den Ausflug der anderen drei Begleitschiffe. Die Hangartore hatten nach THELAS Angaben einen Durchmesser von rund 60 Metern. Jetzt erschienen die schneeweißen Schiffskörper der Begleitschiffe darin. Ihr Durchmesser war geringer; vielleicht 50 Meter. Sobald die Schiffe das Hangartor passiert hatten, geschah etwas Unerwartetes ... »Die werden ja größer", stutzte Stephan, "die wachsen ja." Als die drei anderen Schiffe zur TERRA 3 aufgeschlossen hatten, hatten sie die gleiche Größe wie die TERRA 3 angenommen. »Das Kompakte Feld ist eine Entwicklung unseres Volkes. Es hat etwas mit der Komprimierung des Raumes zu tun. Gegenüber ihrer Normalgröße von 500 irdischen Metern können die Schiffe um den Faktor 10 verkleinert werden, ohne viel von ihrer Leistungsfähigkeit einzubüßen. So lassen sie sich besser in Trägerschiffen wie der TERRA unterbringen.« Wieder hatten THELAS »biologische Gäste« gesprochen. »Kompaktes Feld?« Michele schaute fragend zur Wand, hinter der sie den Schiffscomputer vermutete. »Gibt's da noch mehr von?« »Das ganze Schiff, mit Ausnahme der Zentrale und der Wohn- und Freizeitbereiche, ist in Kompakte Felder gehüllt. Sonst wäre die TERRA mehrere irdische Kilometer groß geworden.« »Deswegen können wir nirgendwo hin; keine Türen, kein Zugang zu anderen Bereichen«, bemerkte Paul und begann sich wegen der immer neuen Geheimnisse des Schiffes langsam Sorgen zu machen. »Mädels, lasst uns abdampfen«, rief Jack in sein Funkmikro. »Nach meinen Speicherdaten meint der Begriff >Abdampfen< eine altmodische Art der Fortbewegung, die mit unseren Möglichkeiten des überlichtschnellen Antriebs nichts mehr gemein hat. Die Benutzung dieses Begriffes in meiner Gegenwart ist ...« »Halt's Maul JEANNIE, du redest nur, wenn du gefragt wirst«, herrschte Jack seinen Schiffscomputer an. »Wie Ihr wünscht ...« Stephan meinte sogar eine leichtes Schmunzeln THELAS gehört zu haben, irgendwas wie »genau wie ihre Ahnen« oder so. Unter großem Gelächter der Anderen nahmen die vier Begleitschiffe Fahrt auf und gingen nach einer kurzen Beschleunigungsphase in den Hypertaktmodus. Jedes Schiff hatte eine andere Region in der Galaxis zum Ziel. »Und wohin geht unsere Reise?« fragte Dagmar. »THELA, hast du eine Idee, wo wir eine Spur der verlorenen Menschheit finden können?« »Vielleicht bei einer der die ältesten Freunde der Menschheit, den Posbis. Die Posbis sind ein Volk von positronisch-biologischen Robotern, daher auch ihr Name. Sie lebten damals auf der Hundertsonnenwelt am Rande unserer Galaxis.« »Die Hundert-Sonnen-Welt? Heißt das, ihre Welt wird von 100 Sonnen beleuchtet?« Paul schaute ungläubig. »Ja, in gewisser Weise stimmt das. 100 künstliche Sonnen beleuchten einen Planeten, der ansonsten keine Sonne hat. Roboter pflanzen sich zwar nicht fort, aber sie können sich reproduzieren. Vielleicht existieren die Posbis noch...« Schon von weitem orteten sie die Hundertsonnenwelt. THELA sendete die Kennung, die die Terraner vor 50.000 Jahren benutzt hatten. Es erfolgte keine Reaktion. Weder meldete sich die Hundertsonnenwelt noch war eines der typischen Posbi-Raumschiffe zu orten. Aus ihrer Hypnoschulung über terranische Geschichte wussten Paul und seine Freunde, dass diese Raumschiffe "Fragmentraumer" genannt wurden. Die Schiffe waren fast würfelförmig und mit unzähligen Aufbauten und Antennen versehen. Die Posbi-Raumer sahen immer irgendwie unfertig aus. Aber keines dieser merkwürdigen Schiffe tauchte auf. »Raumschiff TERRA von der Erde ruft die Hundertsonnenwelt. Wir sind auf der Suche nach den verschollenen Terranern. Erbitten Hilfe.« Nachdem Michele ihren Spruch abgesetzt hatte, stoppte Paul die TERRA in einiger Entfernung von der Heimat der Posbis. Sie warteten ab. Auf der Hundertsonnenwelt rührte sich nichts. Endlich war es soweit. Boris hatte seine MOLOKKO ausgeschleust. Offenbar war es nun an der Zeit, dass Boris etwas über sein Schiff erfahren sollte. Ein Hologramm erschien in der Mitte der Zentrale. Was es darstellen sollte wusste Boris selbst nicht so genau, eine offenbar humanoide Gestalt, die mitten im Nebel stand und plötzlich zu Sprechen begann: »Ich bin der Zentralcomputer dieses Schiffes, und gleichzeitig ein Ableger von THELA! Ich stehe dir fortan bei deinen Reisen zur Verfügung.« »Wie heißt du?« verblüfft starrte Boris auf die Erscheinung, die er bisher noch nicht richtig einordnen konnte. »Wie du es auch schon bei Deinen Schiff getan hast, ist es dir auch bei mir möglich, sich einen eigenen Namen auszudenken!« »Gut, dann sollst du von jetzt ab auf den Namen KATHARINA hören!« mit einem Lächeln erinnerte sich Boris an seine erste Freundin zurück. »Warum der Nebel?« »Wie auch mein Name bisher noch nicht feststand, ist auch mein Aussehen noch nicht genau definiert! Es ist möglich, mich nach deinen Wünschen zu gestalten.« Eine Tastatur tauchte vor Boris auf, zudem erhellte sich unmittelbar vor seinen Augen ein Mini-Holo, das verschiedene Körperteile zeigte. Langsam begriff er das es nun an der Zeit sei, das seine KATHARINA einen Körper bekam. Nachdem er mit den Maßen halbwegs zufrieden war, ging er daran, das Gesicht zu modellieren. Hier zeigte er wesentlich mehr Feingefühl. Als er dann endlich seine Arbeit beendet hatte, stand eine vollbusige russische Schönheit vor ihm, langes blondes Haar und einem Körper, der so manchem irdischen Model Konkurrenz gemacht hätte, wenn es sie denn nun echt gegeben hätte. »Für den Anfang gar nicht schlecht, nahezu perfekt!« murmelte Boris. Sogar die Stimme hatte er verändern können, im Vergleich zu THELA hörte sich KATHARINA nicht gerade wie ein Engel an. Er fragte sich, wie die anderen ihre Bordintelligenzen wohl gestaltet hatten. Mit J.J.'s Bordcomputer hatte er über Funk schon so seine Erfahrungen gemacht; Jack hatte offenbar darauf bestanden mit Meister angeredet zu werden. »Nachdem du mich nun nach deinen Wünschen geformt hast, sollst du etwas über dein Schiff erfahren!« »Na endlich.« »Die MOLOKKO ist ein Kugelraumer, der momentan einen Durchmesser von 500 Metern hat...« »Moment! Was heißt hier momentan? Und wie kann ein Schiff wie die TERRA, die selbst nur 1200 Meter lang ist, vier je 500 Meter durchmessende Raumschiffe aufnehmen?« Zunehmend verwirrt stand Boris auf und wanderte in der Zentrale, einen kreisförmigen Raum von 6 Metern Durchmesser und einer Höhe von 3 Metern, umher. »Dazu später mehr. Die Offensiv-Bewaffnung besteht aus einer am Pol angebrachten Transpuls-Kanone, deren Wirkung du ja bereits im Kampf gegen die Flotte des Grafen Tezeter erlebt hast. Weiter verfügt die MOLOKKO über 20 Transformkanonen; diese Waffen waren schon zu Zeiten des Solaren Imperiums gebräuchlich, wurden aber immer weiter verbessert, sodass sie nie außer Mode kamen. Sie bilden die Hauptwaffe der TERRA und ihrer Begleitschiffe. Ebenfalls eine Neuentwicklung von NATHAN ist die Doppelpuls-Kanone, hiervon befinden sich 15 Stück an Bord. Nahezu veraltet sind die 10 Kombigeschütze, sie können wahlweise Thermo-, Desintegrator- oder Paralysestrahlen verschießen. Defensiv steht ein 6-fach gestaffelter Paratron-Schirm mit zwischengeschalteten HÜ-Schirm zur Verfügung. Ein normaler Prallschirm für den Atmosphärenflug rundet das Schirmpaket ab. Hochrechnungen zufolge sind die Schilde auch in der heutigen Zeit ziemlich stark; ein Gegner müsste sich schon gewaltig anstrengen, um uns in eine ernste Gefahr zu bringen. Für interplanetarische Reisen sind die Impulstriebwerke gedacht, sie bringen das Schiff bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit. Überlichtgeschwindigkeiten werden durch das Transitionstriebwerk oder durch den Metagrav erreicht. Sollten wir es einmal besonders eilig haben, steht ein Hypertakt-Triebwerk, wie es schon die SOL besaß, zur Verfügung.« Boris hatte sich inzwischen wieder gesetzt und lautlos den Ausführungen KATHARINAS gelauscht, als plötzlich eine Haube über seinen Kopf fuhr. »Hey!« rief er erschrocken. »Die SERT-Haube kennst du schon aus den Übungen im Mond-Simulator. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, das Schiff alleine zu steuern; du hältst es sozusagen durch deine Gedanken auf Trab. du solltest aber, wenn möglich, nichts Unanständiges denken. Hihihihihihihi...« »Momentan denke ich daran, deine Persönlichkeit zu überarbeiten!« ging Boris auf den Scherz KATHARINAS ein. »Zu mir noch soviel: Ich bin ein Hochleistungssystem, besitze aber keine biologische Komponente. Mein Humor, den du vorhin erlebt hast, ist programmiert; es ist mir möglich, mich selbstständig weiterzuentwickeln bzw. mich neu zu programmieren. Sobald sich die MOLOKKO wieder an Bord der TERRA befindet, werde ich deaktiviert und THELA nimmt meinen Platz ein.« Als wäre es ihr Stichwort, traf ein Ruf THELAS ein: »Boris, du hast nicht auf meinen Befehl zum Ausschleusen gewartet, und auch ansonsten erscheinst du mir ziemlich impulsiv zu sein. Du erinnerst mich an jemanden, den ich früher recht gut kannte ... ach Feuerwehrhauptmann, was ist nur aus dir geworden ... und du bist mindestens genauso neugierig, wie die Menschen damals. Von KATHARINA hast du bereits alles über die MOLOKKO erfahren. Nur das Kompakte Feld wurde dir vorenthalten.« Gespannt lauschte er den Schilderungen THELAS, es war ihm also möglich die MOLOKKO mit Hilfe der Sonderschaltung K 12 und des Kompakten Feldes um den Faktor 10 schrumpfen zu lassen. Aus der Mitteilung THELAS ging weiterhin hervor, dass der Start der TERRA zur Hundertsonnenwelt kurz bevor stand. Das passte ihm gut in den Kram, er hatte sowieso vor, die Galaxis auf eigene Faust zu erforschen. Er beschloss, zuerst die ehemaligen Zentren der LFT bzw. die anderen großen Reiche abzusuchen. Seinen Befehl, die Verbindung zu den anderen Begleitschiffen Kontakt aufzunehmen, führte KATHARINA auf der Stelle aus. »Wir sollten ausmachen, wohin wir fliegen, nicht dass wir zufällig das gleiche Ziel haben! Es wäre am klügsten, wenn wir zuerst die früheren Hauptwelten der LFT abgrasen und dann die anderen Zentren durchsuchen. Viel werden wir zwar wahrscheinlich nicht finden, da die Spuren der Terraner überall beseitigt wurden, aber vielleicht können wir uns zumindest ein Bild von der jetzigen Situation innerhalb der Milchstrasse machen. Also wohin wollt ihr fliegen?« gab Boris über sein Mikro an die Anderen durch. Die Entscheidungen waren schnell und ohne große Streitereien getroffen. Clara Lubow wollte mit ihrer TERRA 1 nach Plophos fliegen, Anita an Bord der TERRA 2 entschied sich für die Extremwelt Oxtorne. J.J.'s Entscheidung fiel auf das System um Boscyks Stern, genauer auf das ehemalige Handelszentrum Olymp. Boris hatte nun die Wahl ob er nach Ertrus oder lieber nach Epsal fliegen würde. Letztlich fand er aber, dass die Wahrscheinlichkeit, auf Ertrus etwas zu finden, größer sei als auf Epsal. »Nachdem ihr von euren Schiffscomputern und mir eingewiesen wurdet, macht euch nun auf den Weg, viel Glück, auch im Namen euer Kollegen, die an Bord der TERRA bleiben werden. Den Treffpunkt hat Dagmar schon auf eure Bordcomputer übertragen, wir treffen uns also in 4 Wochen bei der roten Riesensonne Beteigeuze. Nochmals viel Glück.« Mit steigenden Beschleunigungswerten ließ Boris die MOLOKKO von der TERRA weg streben. Nachdem er die halbe Lichtgeschwindigkeit erreicht hatte, leitete er sein erstes Hypertaktmanöver ein. Sein Ziel lag in unmittelbarer Nähe von Ertrus, der früheren Heimat der riesenhaften Ertruser. Hier wollte er seinen Nachforschungen beginnen. »Viel Glück!« Diese Worte THELAS hallten noch lange in ihm nach, als er auf seine Reise ging. Durch seine Hypnoschulung war er über die Zustände auf dem Planeten Ertrus im Bild, besser gesagt, er wusste was vor 50.000 Jahren im Kreit-System los gewesen war. Er hoffte, dort eher Spuren zu finden, weil die ca. 2,50 m großen und langlebigen Terranerabkömmlinge damals in ganz anderen Dimensionen gebaut hatten, als die »Normal«-Terraner. Allein die Gebäude, die damals beseitigt wurden, mussten ganz andere Dimensionen gehabt haben. Es dürfte den Menschen unter der Führung der Unsterblichen damals unmöglich gewesen sein, wirklich alles abzureißen und zu beseitigen, zumindest auf Ruinen hoffte er, zu stoßen. Alle diese Gedanken zogen ihm auf dem Weg nach Ertrus durch den Kopf, als KATHARINA plötzlich durchgab: »Eintritt in den Normalraum in 5 Minuten, wir werden 2 Lichtsekunden außerhalb des Systems aus dem Hypertaktmodus kommen.« Zufrieden nickte Boris, alles lief so, wie er es sich vorgestellt hatte. Die letzten 5 Minuten zogen sich jedoch in die Länge; ihm kam es wie eine kleine Ewigkeit vor, als sein Bordcomputer endlich verkündete: »Austritt erfolgt ... jetzt! Ortung meldet große Flottenverbände des Kaiserreichs, die das Kreit-System abriegeln.« Schon erschütterten die ersten Treffer die MOLOKKO, offenbar war sie unmittelbar vor den feindlichen Geschützmündungen herausgekommen. Ein Hologramm, das vor Boris erschien, zeigte die feindlichen Flottenbewegungen. Der Verband, dem sie vor die Geschütze geflogen war, umfasste lediglich 200 Schiffe. Dies lag, soweit er von KATHARINA wusste, noch innerhalb der Grenze dessen, was die MOLOKKO vertrug. Dennoch spitzte sich die Lage für das Begleitschiff der TERRA zu, da der Gegner offensichtlich weitere Verbände zusammenzog, um der MOLOKKO den Garaus zu machen. Erste Hochrechnungen zeigten, dass sich im weiten Bereich des Kreit-Systems 20 000 Einheiten versammelt hatten. Das war nun entschieden zu viel. Enttäuscht und leicht verblüfft darüber, gleich auf seinem ersten Ausflug auf eine so große Flotte zu stoßen, gab er KATHARINA den Befehl zum Rückzug. Als sie wieder im Hypertaktmodus waren, meldete sich seine einzige Gesprächspartnerin: »Die Ortung hatte innerhalb des Systems zusätzlich noch 20 000 energetisch vollkommen tote Körper verschiedener Größe erfasst! Zudem fehlt der 3 Planet ...« Der dritte Planet, das war Ertrus, soviel wusste Boris aus der Hypnoschulung. Aber wie konnte es sein, dass ein ganzer Himmelskörper einfach weg war und was war mit den 20 000 toten Körpern ohne Energie? Gab es eine Verbindung zwischen dem Verschwinden von Ertrus und diesen toten Körpern? | ||||||
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