Johannes Ruthenberg (johannes@bolarus.de)
Perry Rhodan One Minute To Midnight

4. September 2437 n. Chr.

Ich befürchte, es gibt wenige, die gut sterben, wenn sie in einer Schlacht sterben...
[William Shakespeare, »King Henry V.«, IV,1]

Leise Musik erfüllte den Raum, das sanfte Licht der Deckenbeleuchtung wurde von zwei brennenden Kerzen ergänzt. In einem bequemen Sessel in der Mitte des Raumes saß ein Mann und las in einem altertümlichen Buch. Er war groß, schlank und sah relativ jung aus. Die meisten Menschen hätte es erstaunt, zu erfahren wie alt Julian Tifflor wirklich war.

Vor acht Stunden war Tifflor im Solsystem angekommen, zusammen mit 30.000 terranischen Schiffen. In der Materiebrücke zwischen der Kleinen und der Großen Magellanschen Wolke hatte man das System der feindlichen Uleb belagert, erfolglos. Der Paratronschirm, der das Enemy-System umspannte, war zu stark, selbst für diese ungeheuerliche Zahl von Schiffen.

Nun hatte man Hinweise erhalten, daß ein Angriff der Zweitkonditionierten mit ihren schwarzen Retortenraumschiffen unmittelbar bevorstand. Unter diesen Umständen hatte der Großadministrator die Belagerung abgebrochen und den Rückzug fast aller Schiffe ins Solsystem befohlen.

Julian Tifflor war sofort nach seiner Ankunft auf sein Flaggschiff, den Ultrariesen HONORIUS, gewechselt. In seiner Funktion als Kommandant der Heimatflotte befehligte der Solarmarschall von hier aus seine Schiffe.

Und nun saß er hier und las in einem alten Buch. Atlan hatte es ihm vor langer Zeit geschenkt, anläßlich seiner Beförderung zum Solarmarschall. Tifflor wußte nicht, wie oft er »Heinrich V.« nun schon gelesen hatte, aber er hatte sich angewöhnt, dieses Buch auf sein jeweiliges Flaggschiff mitzunehmen. Manchmal, wenn er unter Streß stand, half es ihm, sich zu entspannen. Und größeren Streß als heute hatte es selten gegeben. Diesmal ging es buchstäblich um das Überleben der Menschheit. Die Schwingungswächter waren fest entschlossen, das Volk der Terraner auszulöschen. Mit ihnen konnte man nicht reden, nicht verhandeln, und nach dem derzeitigen Stand der Dinge konnte man sie auch nicht aufhalten. Beim Angriff der DOLANs vor neun Monaten hatte OLD MAN in letzter Sekunde eingegriffen, doch der Kontrafeldstrahler, mit dem der Riesenroboter die Menschheit damals gerettet hatte, war nun wertlos. In kürzester Zeit hatten die Zweitkonditionierten eine Abwehrmöglichkeit gefunden.

Neue Waffen bringen immer neue Verteidigungstechniken hervor, dachte Julian Tifflor. Plötzlich klappte er das Buch zu. Seit einer halben Stunde hatte er nur noch auf die gleiche Seite gestarrt und seinen Gedanken nachgehangen.

Er stand auf, fuhr sich durch die kurzen, braunen Haare und reckte sich. Sein Quartier war eins der größten an Bord, doch es kam ihm plötzlich besonders eng vor.

»Was glaubst du, wann es soweit sein wird?« fragte Johnson leise. Sie und ihr Kollege waren damit beschäftigt, eine Space Jet startklar zu machen, mit Ausrüstungsgegenständen zu beladen und alle Systeme zu prüfen.

»Keine Ahnung«, erwiderte Skuvlik. »Wir erfahren es sowieso erst, wenn Alarm gegeben wird.«

Zusammen wuchteten sie ein schweres Aggregat von einer Antigravtrage und begannen mit dem mühsamen Einbau. Einen schlechteren Zeitpunkt hätte sich der Impulsstabilisator des 35 Meter durchmessenden Kleinraumschiffes nicht aussuchen können, um den Geist aufzugeben. Alle terranischen Werften waren überfüllt, weit über 30.000 Schiffe mußten kampfbereit gemacht werden. Hinzu kamen die 10.000 Einheiten der terranischen Heimatflotte sowie weitere 10.000 Schiffe, die von diversen Kolonien bereitgestellt worden waren. Kleinere Reparaturarbeiten mußten deshalb an Bord erledigt werden.

»Man munkelt, daß bis zu 9000 DOLANs mit den neuen Geräten ausgerüstet worden sein sollen«, meinte Skuvlik, während sie sich um den Stabilisator bemühten. »9000 feindliche Schiffe... Rechne mal aus, wie hoch die Chancen sind, daß wir die zurückschlagen können!«

Der untersetzte, schwarzhaarige Oorton Skuvlik wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Sheila Johnson ließ ihre Arbeit ebenfalls für einige Sekunden ruhen und sah ihren Kollegen an.

»Meine Schwester hat in den Halana-Kolonien gelebt«, erwiderte sie leise, und ihr Blick schien in weite Ferne zu gleiten. »Ein einziger DOLAN durchbrach die Systemverteidigung. Er legte zwei komplette Großstädte in Schutt und Asche, ehe man ihn vernichten konnte. Die Bewohner hatten keine Chance...«

»Tut mir leid.« Mehr fiel Oorton Skuvlik nicht ein.

Tut mir leid um uns alle... dachte er bei sich.

Die beiden Techniker fuhren zusammen, als eine laute Stimme zu ihnen drang.

»Hey, ihr Turteltauben. Wollt ihr nicht zur Abwechslung mal arbeiten?« Ihr Vorgesetzter, Sorton LaConnor, sah zu ihnen herauf und nickte vorwurfsvoll in Richtung des Stabilisators.

Julian Tifflor wanderte langsam durch die Gänge seines Schiffes. Seit 12 Jahren war die HONORIUS sein Flaggschiff und mittlerweile fühlte Tifflor sich hier fast zu Hause. Obwohl er oft auch an Bord des solaren Flaggschiffes CREST V weilte, so war dies hier doch sein eigentlicher Tätigkeitsbereich. Von hier aus kommandierte er seine Flotte, und von Bord dieses Schiffes aus würde er die Verteidigung des Solsystems leiten.

Tifflors Wanderschaft hatte ihn in den Maschinenraum geführt, wo er mit dem leitenden Chefingenieur gesprochen hatte. Danach traf er sich mit Soon-Tuo, dem Kommandanten des Kreuzergeschwaders der HONORIUS. Sie hatten sich in eine der Messen im unteren Drittel des Schiffes gesetzt und das Vorgehen der Kreuzer und Space Jets nochmals durchgesprochen. Die Messe war erstaunlich gefüllt, wenn man die Bordzeit bedachte. Um null Uhr schlief normalerweise ein Großteil der Besatzung, nur die verringerte Gamma-Schicht hatte jetzt Dienst.

Aber heute schien es alle nach Gesellschaft zu verlangen. Die im Flüsterton geführten Unterhaltungen erzeugten eine merkwürdig bedrückte Atmosphäre.

»Haben Sie noch einen Moment Zeit, Sir?« fragte der asiatisch-stämmige Terraner schließlich.

Tifflor lachte sarkastisch auf. »Wir haben alle Zeit der Welt! Alle Pläne sind gemacht, die Strategien stehen fest und die Schiffe nehmen ihre Positionen ein. Wir können nur noch warten, daß die Dolans auftauchen!« Und dieses Warten zermürbte nicht nur den relativ unsterblichen Zellaktivator-Träger.

»Perry Rhodan ist in Terrania?« fragte Soon-Tuo weiter.

Tifflor nickte.

»Im Büro des Großadministrators«, antwortete er müde. »Er muß dort die gesamte Lage im Auge behalten, nicht zuletzt auch die Evakuierung, die im Ernstfall anlaufen wird. Acht Milliarden Menschen leben allein auf der Erde, Soon-Tuo. Acht Milliarden! Nicht zu sprechen von den anderen besiedelten Planeten und Monden des Solsystems...«

»Und was denkt er über unsere Lage? Perry Rhodan meine ich.«

Tifflor sah auf. Perry Rhodan. Mehr denn je war er eine glorifizierte Heldenfigur für viele Terraner. Gerade die junge Generation, die während des Krieges gegen die Meister der Insel aufgewachsen war, verehrte ihn geradezu. Soon-Tuo gehörte mit seinen 46 Jahren auch dazu, er hatte Rhodans Andromeda-Expedition sicher als Kind verfolgt.

»Wie Menschen, die auf einer Sandbank Schiffbruch erlitten haben, und erwarten, von der nächsten Flut fortgespült zu werden«, flüsterte er leise.

»Bitte, Sir?« Der Geschwader-Kommandant starrte ihn an.

Tifflor schüttelte den Kopf.

»Ein Zitat, aus einem alten irdischen Stück. Heinrich V. Der König mischte sich am Vorabend der Schlacht unerkannt unter seine Soldaten, um in dieser schweren Stunde bei ihnen zu sein.«

»Ein schöner Gedanke, Sir.«

»Ja, aber heutzutage kaum mehr praktizierbar. Mich und die anderen Unsterblichen kennt fast jedes Kind, und wohl erst recht jede Frau und jeder Mann an Bord dieses Schiffes.«

Wieder schwiegen sie, bis Soon-Tuo die Stille unterbrach: »Haben wir überhaupt eine Chance, die Erde zu retten?«

Tifflor seufzte. Das war vielleicht das Schwerste an seiner Position. Obwohl er sicher die gleichen Ängste und Zweifel hatte, wie jeder Terraner in diesen Wochen, durfte er sie nicht zeigen, um seine Untergebenen nicht zu entmutigen.

»Denken Sie daran, noch vor wenigen Monaten griffen 1000 DOLANs die Erde an. Wir haben sie zurückgeschlagen, auch wenn es aussichtslos schien. Vielleicht kann uns OLD MAN auch diesmal helfen.«

Soon-Tuo sah ihn an und beide wußten, daß das nur eine schwache Hoffnung war. Der Asiate sprach aus, was sie beide dachten: »Diesmal werden es mehr DOLANs sein. Sie werden besser ausgerüstet sein, schwerer abzuschießen und erfahrener im Umgang mit der terranischen Flotte!«

Wie sollte man ihnen beikommen? Während Soon-Tuo sich verabschiedete, dachte Tifflor immer wieder die vorgesehenen Pläne durch, die Staffelungen der einzelnen Geschwader. Hinhalten, das war ihre Strategie. Aufsplittern, einzeln abschießen. Fünfzigtausend Schiffe, die nun Tifflors Kommando unterstanden, würden sich dem Feind entgegenwerfen. Auch, wenn sie kaum eine Chance hatten. Selbst die 30.000 Posbi-Raumer, die mittlerweile als Verstärkung eingetroffen waren, würden das Kräfteverhältnis nicht entscheidend beeinflussen können. Julian Tifflor spürte wieder einmal die drückende Last der Verantwortung auf seinen Schultern. Während der Zellaktivator belebende Impulse durch seinen Körper schickte, quälte Tifflor vor allem eine Frage: War es überhaupt zu vertreten, mehrere Millionen Männer und Frauen in einen solchermaßen aussichtslosen Kampf zu schicken?

Oorton Skuvlik, Sheila Johnson und der mit ihnen befreundete Kampfpilot Manila K'teki saßen bei einem Glas Litouri zusammen. Ihre Schicht war beendet, aber keinem von ihnen war nach Schlaf zumute.

Sheila Johnson betrachtete ihre zitternden Hände, die sich um das kleine Glas verkrampften.

»Ich glaube, meine Nerven liegen schon völlig blank«, meinte sie unsicher.

»Das ist ja nun auch wahrlich kein Wunder«, entgegnete K'teki ihr. »Gerade ist ein neuer Tag angebrochen, aber wir werden vielleicht sein Ende schon nicht mehr erleben.«

»Meinst du, daß es so schlecht steht?« Skuvlik sah K'teki zweifelnd an. »Keiner von uns kennt die genauen Lageberichte. Rhodan, Tifflor und die anderen Unsterblichen wissen vielleicht, wie es wirklich steht, aber wir können nur raten.«

»Frag Tifflor doch!« brauste K'teki auf. »Da drüben sitzt er und tut so, als wäre er die Ruhe selbst. Aber ich wette, in dieser Nacht wünscht er sich bis zum Hals in den Goshun-See, dann wäre er von hier fort.«

»Sei nicht ungerecht!« meinte Sheila beschwichtigend. »Er ist nur ein Mensch. Auch wenn er einen Zellaktivator trägt, er ist trotzdem nur ein Mensch. Er hat sicher genauso Angst wie wir. Vielleicht sogar noch mehr.«

»Was machen wir eigentlich noch hier?« fragte Manila K'teki plötzlich. Der schwarzhäutige Riese hieb die geballte Faust auf den Tisch. »Verdammt, was geht uns das eigentlich an, heh? Warum lassen wir uns für Rhodans kosmische Spielereien abschlachten?«

»Rhodan kann nichts dafür, daß die Schwingungswächter uns angreifen. Die Zeitverbrechen, derer sie uns beschuldigen, haben wir nicht begangen. Und Rhodan auch nicht.«

»Habt ihr das von Sentzer gehört?« fragte Oorton Skuvlik dazwischen. »Will Sentzer, hat drüben im Hangar 14C gearbeitet. Ich hab ihn seit einer Woche nicht mehr gesehen.«

»Tja, wenn sie ihn jemals kriegen, bekommt er einige Jahre Gefängnis. Aber wenigstens ist er dann noch am Leben«, meinte K'teki.

»Ich tu's für Chris«, sagte Sheila leise.

Die anderen beiden sahen sie an.

»Mein Mann«, erklärte Sheila Johnson. »Er arbeitet in Terrania in der Administration. Wenn die DOLANs die Erde erreichen -- ich... ich konnte nicht einfach abhauen.«

»Meine Frau ist schon lange auf Plophos, zusammen mit den Kindern. Weiß Gott, ich wünschte, ich wäre mit ihnen gegangen. Dann müßte ich jetzt hier nicht auf mein Ende warten wie eine Ratte im Käfig.« Manila K'teki leerte sein Glas in einem Zug. Plötzlich begann er, an einer Stelle seines Anzugs herumzureiben. Die andere beiden sahen ihn verwundert an. Als er es merkte, fuhr er sie an: »Was ist? Nur ein blöder Fleck...«

Er goß sich ein weiteres Glas ein.

»In einer halben Stunde könnte ich mit einer Space Jet im All sein«, flüsterte er.

Er rieb weiter an seiner leichten Kampfmontur.

Oorton hielt sanft den Arm des Piloten fest und meinte: »Es ist nur ein Fleck! Wenn du im Einsatz bist, kommt es darauf nicht an!«

Doch Manila K'teki riß sich los und stand auf.

»Faß mich nicht an!« Er stand leicht schwankend vor dem Tisch und starrte seine beiden Freunde an. »Ich mach' da nicht mit«, keuchte er heiser. »Ich hab noch keine Lust zum Sterben! Den Unsterblichen ist es doch ganz egal, wieviele von uns dabei draufgehen. Die wissen doch gar nicht mehr, was der Tod eigentlich ist!«

»Manila, jetzt flipp doch nicht gleich aus!« Sheila erhob sich ebenfalls, doch da zog K'teki seinen Impulsstrahler. Es war nur eine kleine Handfeuerwaffe, aber auf diese Distanz und ohne einen Schutzschirm wirkte sie absolut tödlich.

»Sheila, Oorton, ihr werdet mich jetzt zum Hangar begleiten, nicht wahr? Wir nehmen eine der Jets und sind in einer Stunde aus dem Solsystem verschwunden.«

K'teki grinste Sheila an, während er die Waffe auf sie richtete.

»Damit kommst du nicht durch. Du wirst es nicht mal bis zum Hangar schaffen«, versuchte Oorton ihn zur Vernunft zu bringen. Alle Umstehenden starrten sie an oder verließen langsam die Messe.

Plötzlich ertönte eine ruhige Stimme hinter dem Kampfpiloten: »Geben Sie mir die Waffe und wir können über alles reden.«

Manila fuhr herum und richtete den Strahler auf Julian Tifflor. In seinem Gesicht zuckte es, doch sein Grinsen blieb.

»Doch, ich werde damit durchkommen. Mit der richtigen Geisel...«

Tifflor hob langsam beide Hände und verschränkte sie hinter dem Kopf. Er sagte jetzt nichts mehr, sondern starrte den Piloten nur an. Dieser kam einen Schritt näher, die Waffe immer noch hoch erhoben.

»Stimmt's? Du weißt nicht mal, wer ich bin«, schrie er den Solarmarschall an. »Und es interessiert dich nicht, ob meine Space Jet von den DOLANs zerfetzt wird! Niemand wird es auch nur merken!«

»Jeder einzelne ist wichtig!« erwiderte Julian Tifflor leise. »Und niemand, der in dieser Schlacht stirbt, wird vergessen werden.«

Manila K'teki starrte ihn an, doch dann wich er Tifflors Blick aus.

»Alle, die noch nicht sterben wollen, können mit mir kommen!« rief er in die Messe hinein, doch niemand rührte sich. Der Sicherheitsdienst war alarmiert.

K'teki warf einen Blick in die Runde, dann sah er wieder Tifflor an.

»Na los, dann gehen wir eben zu zweit«, knurrte er.

Doch Tifflor bewegte sich nicht, er sah den Geiselnehmer nur mit festem Blick an. Und plötzlich ging alles sehr schnell. Manila K'teki war in den Grundzügen der Dagor-Technik ausgebildet, aber der Angriff überraschte ihn trotzdem. Im Bruchteil einer Sekunde traf Julian Tifflor seinen vorgestreckten Arm, die Waffe flog in hohem Bogen davon, während der schwarzhäutige Pilot mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie ging.

Tifflor faßte nach und hatte ihn bald in einem festen Griff, aus dem dieser nicht entkommen konnte, ohne sich das Genick zu brechen. Endlich rührten sich einige der Umstehenden. Jemand trieb ein Beruhigungsmittel auf und verabreichte es dem Piloten, dann kamen die Sicherheitskräfte und nahmen ihn mit.

Sheila Johnson sank in sich zusammen und Oorton nahm sie vorsichtig in den Arm.

»Mein Gott«, flüsterte sie. »Warum hat er das bloß getan? Er hätte uns alle töten können.«

Tifflor beugte sich zu ihr.

»Alles in Ordnung?«

Sie nickte nur.

In dieser Sekunde sprangen die Lautsprecher an, eine beherrschte Frauenstimme erklang: »An alle: Alarmstufe Eins! Ich wiederhole, Alarmstufe Eins! Soeben wurden aus dem Wega-System die ersten Dolans gemeldet. Besetzen Sie die Kampfstationen und legen Sie Ihre Schutzanzüge an. Mawota, Ende.«

Alle standen wie erstarrt, ein, zwei Sekunden. Dann brach Hektik aus, die Messe leerte sich rapide. Julian Tifflor sah noch einmal zu Oorton Skuvlik und Sheila Johnson, die beide noch an ihrem Tisch saßen.

»Es ist nie hoffnungslos«, meinte er, ehe er sich umwandte und sich auf den Weg zur Zentrale machte. Wenigstens hatte das Warten ein Ende.

Oberst Mawota begrüßte ihn knapp, als er aus dem Antigravschacht sprang. Tifflor setzte sich in den Kontursessel neben der Kommandantin. Im Gegenteil zu vielen anderen, wichtigen Schiffen wurde die HONORIUS nicht von einem Umweltangepaßten kommandiert, sondern von einem Menschen. Tifflor hatte das für das Flaggschiff der Heimatflotte für angemessen gehalten. Und Kula Mawota, eine Frau mit Maori-Vorfahren, erledigte ihre Aufgabe exzellent.

»Wieviele?« fragte Tifflor.

»Bis jetzt sind 1900 DOLANs im Wegasystem aufgetaucht. Sie formieren sich erst, wir haben also noch etwas Zeit. Aber es werden mit jeder Minute mehr.«

Für einen Augenblick atmete Tifflor tief durch, um das Chaos in sich zu verdrängen. Einerseits war er erleichtert, daß das Warten vorbei war. Aber andererseits wuchs wieder die Verzweiflung. Hatten sie wirklich eine Chance? War nicht alle Zuversicht gespielt und mußte unter der Realität zerbrechen?

Aber wenn seine Sache nicht gut ist, hat der König selbst eine schwere Rechnung aufzumachen; wenn all jene Arme und Beine und Köpfe, die in einer Schlacht abgehackt wurden, sich vereinigen werden am Jüngsten Tag, und alle schreien: »Wir starben dort und dort...«

Nein! dachte Tifflor. Wir werden keinen einzigen vergessen! Dafür werde ich sorgen.

Wieder atmete er tief durch. Sie hatten gar keine andere Wahl. Sie waren Terraner, sie mußten ihre Heimat verteidigen. Und die Hoffnung nicht aufgeben, so schwer es auch fiel.

»Bringen wir die Flotte in Gefechtsformation!« befahl Julian Tifflor leise.

Nachtrag

Am 16. Dezember 2437, nach der endgültigen Beilegung der Uleb-Krise, weihte Julian Tifflor im Herzen Terranias ein Mahnmal zu Ehren der Gefallen ein. Zwölf riesige, tief-schwarze Terkonit-Blöcke hielten durch die Jahrhunderte hinweg die Namen derjenigen Flottenangehörigen fest, die in den Kämpfen gegen die Dolans ihr Leben gelassen hatten.

Jeder einzelne war hier verzeichnet, 3.704.012 Terraner...

 
ENDE

© by Johannes Ruthenberg, 11./12.07.2000

Mail to: johannes@bolarus.de