Uwe Kirchberg (uwe.kirchberg@cityweb.de)
Perry Rhodan Die der Suche nach der verlorenen Menschheit
 
Titelbild

1. Die Höhle

Über den Bergen zeigten sich die ersten Winterwolken. Bald würde es Schnee geben.

Großvater Hans hatte die Kühe diese Jahr schon früher als sonst von den Weiden oben in den Bergen in das Tal getrieben.

Paul erinnerte sich, wie die bunt geschmückten Tiere feierlich durch das Dorf schritten.

Dieses Dorf lag jetzt schon tief unter ihm.

Sicher würde sein Großvater diesen Abend wieder mit gutem Wein, besserem Essen und noch besseren Freunden in der Dorfkneipe verbringen.

Seit gut drei Stunden war er nun schon aufgestiegen.

Er brauchte nach dem ganzen Schulstress mal frische Luft im Gehirn. In 2000 Metern Höhe war die Luft klar und kalt, man konnte schon von oben auf die Wolken blicken, die sich unter seinen Füßen wie ein großer Wollteppich ausbreiteten. Paul war müde. Die ungewohnte Anstrengung hatte ihn bis an seine Grenzen gebracht.

Ich muss was für meine Kondition tun, dachte sich Paul, als er sich endlich ausruhen konnte.

Sein Blick ruhte auf den mächtigen Dreitausendern, die am Horizont zu sehen waren. Ihre Kuppen waren weiß, da oben hatte es schon geschneit. Auf halbem Weg sah er die Bergstation der Seilbahn.

Ziemlich weit weg, dachte Paul. Ich bin wohl etwas vom Weg abgekommen. Na ja, vielleicht fahr ich heute Abend mit der Seilbahn wieder runter, wenn ich zu müde bin, abzusteigen.

Nachdem er sich genug ausgeruht hatte, ging Paul weiter. In einem kleinen Seitental, im Winter ein Paradies für Skifahrer, ging Paul an den verlassenen Stationen und Stützpfeiler der Skilifte vorbei. Im Frühherbst sah hier alles ziemlich verloren aus. In 6 bis 8 Wochen allerdings, dann ging hier wieder richtig die Post ab.

Es fing an zu regnen.

Kurze Zeit später hatte sich alles zugezogen, aus dem Regen wurde schnell ein kräftiger Hagelschauer.

»Wir Stadtmenschen sind eben für die Berge nicht gemacht«, erinnerte sich Paul an die Mahnung seines Großvaters, nicht zu weit aufzusteigen, weil das Wetter umschlagen könnte.

Paul suchte eine Möglichkeit, sich unterzustellen.

Am Ende des kleinen Seitentals bildete eine wohl erst vor kurzem abgegangene Steinlawine eine natürliche Grenze zu der dahinter liegenden Hochgebirgsregion. Auf der linken Seite der Steine wurde eine Art Eingang zu erkennen. Paul, der noch nie in dieser Gegend gewesen war, wurde neugierig und erkundete den Eingang.

Über massive Felsbrocken kletterte er ein Stück hinein. Nach etwa 10 Metern stieg ein Gang langsam an. Paul hatte keine Mühe, vorwärts zu kommen. Außerdem schien noch ein wenig Licht vom Eingang herein, sodass Paul gut weiterkam.

Am Ende des Gangs sah er einen Lichtstrahl, der durch eine kleine Öffnung drang und ihm den Weg wies. Als Paul die Öffnung erreicht hatte und durchblickte, sah er in eine große Höhle hinein, die von einem diffusen Licht erfüllt war.

Jetzt trieb die Neugierde Paul erst richtig an. Vorsichtig räumte er einige Felsbrocken zur Seite, um einen besseren Blick in die Höhle werfen zu können. Schwer waren die, diese Steine. Aber nach gut einer Stunde hatte er soviel Steine zur Seite geräumt, dass er sich durch die entstandene Öffnung quälen konnte. Auf den ersten Blick bemerkte Paul, dass das diffuse Licht von kleinen Öffnungen in der Decke der Höhle hervorgerufen wurde, aus denen von draußen, trotz des schlechten Wetters, noch genug Licht auf die Seitenwände fiel, um die Höhle halbwegs zu erhellen.

Merkwürdiges Gestein, dachte sich Paul, irgendwie viel zu schwarz.

Vorsichtig ging Paul in die Höhle hinein; Schritt für Schritt, um auf dem vermutlich rauen Untergrund nicht zu stolpern. An der einen Seite, wo das Licht auf das dichte Schwarz der Höhlenwand traf, entdeckte er eine Stelle, die ihm noch viel dunkler vorkam, als das Schwarz der übrigen Wand.

Paul tastete sich vorsichtig heran. Mit seiner linken Hand strich er über die Wandfläche. Irgendwie kam ihm die Stelle warm vor, viel wärmer jedenfalls als die Temperatur in dieser merkwürdigen Höhle.

An der seltsamen Stelle konnte Paul plötzlich ein blaues Leuchten erkennen. Ein Symbol, das Paul noch nie gesehen hatte, erschien.

Und eine Stimme begann zu sprechen!

Paul konnte nicht verstehen, was die Stimme sagte oder woher sie kam. Die Stimme war einfach da und sie sprach offensichtlich zu ihm.

»Wer spricht da?« fragte Paul unsicher und sah sich um. Niemand war zu sehen. »Was ist hier los?«

Ach ja, Alt-Terranisch, Regionalsprache Deutsch. Ich habe diese Sprache lange nicht mehr gehört. Früher kam es vor, dass einige in dieser Sprache redeten.

Ernst Ellert sprach immer Deutsch, wenn er etwas vor mir verheimlichen wollte. Aber natürlich kannte ich auch diese Sprache.

Ich kenne so viele Sprachen, so unendlich viele Sprachen...

»Wer bist du?« fragte Paul in die plötzlich auftretende Stille.

Früher nannte man mich NATHAN. Heute habe ich keinen Namen mehr; es ist solange her, dass mich jemand gefragt hat.

Fast 50.000 Jahre...

2. NATHAN

Alles ist in Vergessenheit geraten... Und alles sollte vergessen werden.

Paul stand wie versteinert in der neue entdeckten Höhle irgendwo in den Bergen. Er hörte Jemandem zu, der deutsch zu ihm sprach, nachdem dieser Jemand zunächst in einer anderen Sprache gesprochen hatte, die Paul jedoch nicht verstanden hatte.

Die Stimme kam aus der Wand. Nirgendwo hatte Paul einen Lautsprecher oder andere technische Einbauten gesehen. Bis auf den Bereich der Wand, vor dem er stand, war der Rest der Höhle im schwachen Licht der einzeln einfallenden Sonnenstrahlen nun nicht mehr zu erkennen. Als NATHAN zu ihm gesprochen hatte, war an der Höhlenwand ein schwach leuchtendes dunkelblaues Feld entstanden. Dorther kam die Stimme.

»Was ist vergessen worden?« Pauls Stimme war nun wieder etwas sicherer geworden.

Alles, was darauf hinwies, dass hier einmal der Mittelpunkt war.

»Hier in den Bergen... ?« fragte Paul.

Nein. Der Mittelpunkt von allem... Terra und seine Hauptstadt Terrania. Dies hier ist nur ein vergessener Kommandostand aus der Zeit der Aphilie. Auch hier hat man alles weggeschafft; nur den Kom-Anschluss hat man vergessen. Na ja, man hat ihn halt übersehen.

Beim großen Aufräumen haben Perry und die anderen mit meiner Hilfe die Erde und die solaren Planeten wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Sogar den Mars haben wir nachgebaut. nachdem sie Trokan mit seinem Pilzdom abgeholt haben. Als auch die Rekonstruktion von Pluto gelungen war, haben wir am Ende alles gesichert.

Paul war sprachlos. Ungläubig sah er auf das blaue Feld vor seinen Augen, aus dem er gerade noch die Stimme NAHANS gehört hatte.

»Wer oder was bist Du?«

Ich bin der WÄCHTER, früher war ich NATHAN.

Ich wache seit über 50.000 Jahre über das Sol-System. Für den Rest der Galaxis und für die bekannten Bereiche des Universums existiert das Sol-System nicht mehr. Und wir haben dafür gesorgt, dass Terra auch aus der Erinnerung aller Völker verschwand. Über das galaxisweite Netzwerk und mit Hilfe von ES und seinen Kumpanen aus dem PULS von Thoregon haben wir alle Aufzeichnungen in allen Galaxien der Superintelligenzen entsprechend manipuliert.

»Aber die Erinnerung lässt sich nicht manipulieren«, meinte Paul, der nach wie vor ungläubig vor dem Kom-Terminal stand.

Welche Erinnerung? Kein Wesen lebt so lange. Außer Perry und die anderen vielleicht. Die Superintelligenzen ja , die Kosmokraten sicher. Aber die Völker der Galaxis haben die Terraner vergessen. Da bin ich ganz sicher. Seit 50.000 Jahren verfolge ich den Hyperfunk über eine einzige noch vorhandene eingehende Verbindung von außerhalb des Ultratron-Schirms. Niemand redet mehr von Terra oder von den Terranern.

»Der Ultratron-Schirm?« Paul wartete ganz gebannt auf eine Antwort.

Der Ultratron-Schirm oder UTS ist der Schirm des Vergessens, wohl das Beste, was die Kosmokraten zu bieten hatten. Diese Technik ist noch nie eingesetzt worden, weil sie selbst gegen Kosmokraten und ihre Technik schützt. Alles, was sich hinter diesem Schirm verbirgt, ist im Universum nicht mehr vorhanden. Mit keinem noch so hochentwickeltem Gerät aufzuspüren und durch nichts zu überwinden.

Das Sol-System ist damals darin eingeschlossen worden, übrig blieb nur ein leeres Stück Weltraum mit vielleicht einem Atom auf jedem Quadratkilometer.

»Warum?« Diese Frage drängte sich Paul auf. »Warum ist die Erde und das ganze Sonnensystem eingeschlossen worden?«

Irgendwer hat die Spielregeln gebrochen, soviel ist sicher. Eine höhere Macht hat eingegriffen und sie alle -- auch die Superintelligenzen und Kosmokraten -- in ihre Schranken gewiesen.

Das Urteil war eindeutig: Die Terraner mussten sich neu entwickeln, ohne Hilfe von außen. Auch ich darf nicht eingreifen.

»Was ist aus denen geworden, die damals auf der Erde lebten?«

Ein paar sind geblieben. Sie haben versucht, die Entwicklung mit ihrem Wissen zu beschleunigen, es ist ihnen nicht gelungen.

Die Höhle war Paul auf einmal zu eng geworden. Zu gewaltig waren die Andeutungen von NATHAN. Die Erde, früher einmal ein Mittelpunkt der Galaxis?

Sicher, manche Archäologen behaupteten, die Menschheit sei vor mehreren 10.000 Jahren schon sehr weit entwickelt gewesen; Hinweis gäbe es, aber Beweise konnte eigentlich niemand liefern.

Paul wollte auf seine Uhr schauen, aber in der Höhle war es mittlerweile dunkel geworden. Nach seinem Zeitgefühl musste es später Nachmittag sein.

»Ich muss jetzt gehen, NATHAN. Es ist schon spät und ich muss ins Tal zurück, bevor es dunkel wird. Aber ich komme morgen wieder, ich habe noch so viele Fragen.«

Du kannst jetzt nicht gehen!

Paul erschrak. Dicht neben dem blauen Feld an der Wand war ein Torbogen aus rotem Licht entstanden. Ein Summen erfüllte die Höhle; gleichzeitig meinte Paul den Geruch von Ozon zu riechen.

Innerhalb des Torbogens waberte es grauschwarz.

Ich brauche Deine Hilfe. Komm zu mir.

3. Ein kleiner Schritt...

Du brauchst nur durch den Torbogen zu gehen. Dir wird nichts geschehen. Ich brauche Deine Hilfe. Noch nie ist jemand zu mir gekommen, schon seit fast 50.000 Jahren nicht mehr. Dies ist das einzige Terminal auf der Erde, das noch vorhanden ist, soweit ich weiß.

Paul stand unschlüssig vor dem Torbogen aus rotem Licht, der in der geheimnisvollen Höhle in den Bergen entstanden war. Dort hatte er Schutz vor dem Hagelschauer gesucht und zum erstenmal die Stimme NATHANS gehört.

»Ich muss zurück, ich schaff' den Abstieg sonst bei Tag nicht mehr.«

Du hast doch eins dieser Geräte bei Dir, die manche Leute Handy nennen. Sag doch Bescheid.

Paul hatte zwar Angst, aber seine Neugierde flehte ihn an, zu bleiben.

»Einverstanden.«

Paul kletterte ein kurzes Stück aus der Höhle hinaus, um eine Verbindung mit seinem Handy zu bekommen. Er erzählte seinen Großvater nichts von seinem geheimnisvollen Erlebnis, sondern erfand eine Geschichte. Er sei in einer kleinen Berghütte sicher aufgehoben, es sei etwas spät geworden und er wolle erst morgen wieder absteigen.

Als er in die Höhle zurückkehrte, war der Torbogen noch da. Paul hörte das Summen, es roch stark nach Ozon.

Komm zu mir! Hab' keine Angst. Du brauchst nur durch den Transmitter zu gehen! Dir wird nichts geschehen.

Pauls Neugierde war immer stärker geworden. Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich dem Torbogen. Als er noch nur noch wenige Zentimeter vor dem grauschwarz wabernden Feld war, spürte er ein leichtes Ziehen. Entschlossen ließ Paul sich durch den Torbogen fallen.

Und dann war alles anders.

Paul richtete sich auf. Er war hingefallen, nachdem er sich durch den Torbogen hatte fallen lassen. Aber er hatte sich nicht verletzt.

Paul fühlte sich leicht. Nicht wie nach einigen Gläsern Bier, das er gern und manchmal auch in größeren Mengen trank; sondern anders. Eben leichter.

»Wo bin ich?«

Auf dem Mond. Hier beträgt die Schwerkraft nur ein Sechstel der Erdschwere. Sei vorsichtig.

»Auf dem Mond gibt es nichts. Die Menschen waren schon da. Niemand hat etwas gefunden. Es gibt auch keine Luft zum Atmen.«

Ich habe die Amerikaner in ihrem lustigen Gefährt damals beobachtet, wie sie herumgelaufen sind und Steine gesammelt haben. Aber eben nur Steine, alles andere haben wir weggeräumt. Ich hätte ihnen zu gerne einen Schrecken eingejagt. Eine Holo-Projektion wäre hübsch gewesen, zum Beispiel wie Gucky ihnen vor der Nase herumhüpft. Mann, hätten die sich gewundert...

Zurück zu dir. Du bist nicht auf der Oberfläche, sondern tief im Inneren des Mondes. Du bist bei mir.

»Wo bist Du?«

Ich bin überall um Dich herum. Du würdest sagen, ich sei ein riesiger Computer. Das bin ich auch, aber ich bin auch ein Lebewesen. Vor undenklichen Zeiten habe ich biologische Komponenten erhalten. Ich habe mich entwickelt. Sogar Humor soll ich jetzt haben.

Früher war ich NATHAN, das Gehirn des Solaren Imperiums. Du würdest mich für allmächtig halten, wenn du wüsstest, was ich früher alles gesteuert und produziert habe.

Den kleinen Hagelsturm beispielsweise, vor dem du in der Höhle Schutz gesucht hast, den hätte ich früher in einer Laune mitten in der Sahara entstehen lassen können. Ich hätte die Menschen aber vorher gewarnt, na ja... vielleicht!

Manchmal hat es mir auch Spaß gemacht, Perry und die anderen mit einem kleinen Schneeschauer zu überraschen. Insbesondere dann, wenn Bully mal wieder eine Parade abnehmen wollte... Das mit dem Blitzeis, das war auch nicht schlecht.

Paul schaute sich um. Er stand in einem kreisförmigen Raum mit fremdartiger Technik. Bildschirme in 3D-Qualität zeigten Räume mit noch mehr Technik und geheimnisvollen Geräten. Andere Bildschirme zeigten Bilder von der Erde und aus dem Weltraum. Die Bilder waren gestochen scharf und in Farbe. Paul fragte sich, wie NATHAN wohl an diese Bilder kam. Hatte er etwa die Erdsatelliten angezapft? Er fragte NATHAN danach.

Meine Satelliten sind immer schon da gewesen. Mit Eurer Technik kann man sie nicht ausmachen.

»Du hast die Erde die ganze Zeit beobachtet? Konntest du nicht eingreifen, als die großen Grausamkeiten begangen wurden?«

Meine biologischen Komponenten haben geweint, als der Völkermord an den Inka, den Maja oder den Indianern stattfand. Das waren alles Völker mit positiven Ansätzen. Insbesondere die Maja waren schon sehr weit...

Nein, auch die Gräueltaten in den Weltkriegen durfte ich nicht verhindern, obwohl ich es gekonnt hätte. 100.000 Roboter hätten das ganz schnell in den Griff gekriegt.

»Ein... hundert... tausend... Roboter?« Paul war entsetzt.

Egal wie viele nötig gewesen wären. In den Arsenalen sind genug. Aber ich durfte nicht eingreifen. Die Menschheit musste sich allein entwickeln, ohne meine Hilfe. Solange bis ein Mensch der neuen Erde mich entdeckt und mit mir Kontakt aufnimmt.

Und dieser Mensch bist du...

 
Fortsetzung folgt