Erinnerungen - von Ralf König

 

Prolog

Perry Rhodan wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

Sein Sohn stand mit einem wuetenden Gesichtsausdruck vor ihm und schaute ihm nur fest in die Augen. Der Unsterbliche fuehlte sich nicht gerade wohl in seiner Haut, als er den vorwurfsvollen Blick registrierte. Anscheinend wusste der junge Mann sehr genau, dass er im Recht war.

Langsam wandte sich Rhodan um und liess sich in einen Sessel sinken. Dann winkte er seinen Sohn zu sich heran.

>Weisst du, mein Junge, eigentlich hatte ich niemals vor, solche Fehler bei der Erziehung zu machen. Aber anscheinend bemerkt man erst wirklich, wie schwierig es ist, Vater zu sein, wenn man Vater geworden ist.<

Nachdenklich verstummte er, dann klopfte er auf den Platz neben sich.

>Ich habe sehr wohl bemerkt, dass Du wesentlich besser geworden bist. Nicht, dass deine Noten jemals wirklich schlecht gewesen waeren, aber deine Leistungen in der letzten Zeit sind durchaus beeindruckend. Daher sollte ich eigenltich anders auf eine solche Bitte reagieren. Also, mein Sohn, schauen wir mal, was sich machen laesst.

Und nun geh nach draussen und spiel mit deinen Freunden.<

 

24. Dezember

 

Der Unsterbliche stand auf dem Balkon seines Hauses am Goshunsee, das ihm nach all den Jahren immer noch gehoerte. Allerdings war er im Augenblick eher Gast in seinem Haus, als dass er sich wirklich als Besitzer fuehlte.

Die Regierung Terras und er als Abgesandter einer Aussenseitermacht namens Camelot waren gerade nicht die besten Freunde, allerdings waren sie noch weit eher Freunde, als jede andere Nation, die derzeit in dieser Galaxis heimisch war und zu den grossen Nationen gehoerte.

Es war dunkel, der 24. Dezember des Jahres, und Rhodan genoss einen der sehr raren Augenblicke, in denen er so etwas wie Freizeit hatte. Heute war Heiligabend und er wusste noch nicht, wie er diesen Abend verbringen wuerde. Im Augenblick dachte er allerdings an nichts weniger als an ein schoenes Weihnachtsfest, im Gegenteil, er konnte sich gerade gar nicht vorstellen, wie dieser Tag noch schlimmer werden sollte.

Die Gedanken an seinen Sohn, als dieser noch ein kleiner Junge war, waren noch sehr frisch. Die Begebenheit war allerdings schon so lange her, dass sie eher wie ein Fluch fuer Rhodan war, denn solche Erinnerungen schienen zum Leben eines Unsterblichen zu gehoeren, wie sein Zellaktivator.

Nicht, dass an der Unsterblichkeit etwas auszusetzen waere. Jeder wuenschte sich insgeheim, nicht sterben zu muessen, aber niemand hatte wirklich eine Vorstellung davon, was es fuer einen Menschen bedeutete, sich ueber das Sterben keine Gedanken machen zu muessen. Natuerlich war es nicht so einfach. Auch die Unsterblichen konnten sterben. Aber man verschwendete normalerweise keine Gedanken daren, hoechstens man steckte wirklich in Lebensgefahr.

Andererseits war die Zahl der mittlerweile toten Zellaktivatortraeger weitaus groesser, als die Zahl derer, die noch lebten.

Genaugenommen war es aber doch so, dass die Unsterblichen es nicht leichter hatten. Sie hatten genauso Probleme, wie die Sterblichen, und in mancher Beziehung sogar noch viel schlimmere. Denn auch Unsterbliche hatten sterbliche Freunde, und diese nach und nach aus dem eigenen Leben verschwinden zu sehen, war einfach grausam.

Rhodan liess sich auf einem Gartenmoebel nieder und lehnte sich zurueck. Er richtete seinen Blick auf die fernen Sterne, die doch so nahe waren. Wie lange reiste er nun schon durch diese Galaxis, rettete die Menschheit, manchmal das ganze Galaktikum, und setzte damit seine ganze schoene Unsterblichkeit aufs Spiel? Und wie wenig dankten ihm die Menschen seinen Einsatz? Das war vielleicht sogar das schlimmste daran. Die Menschheit dieser Zeit wusste nicht einmal, was die Unsterblichen alles durchmachen mussten. Sie fuehlten sich von ihnen gegaengelt und wollten sich von ihnen keine Vorschriften mehr machen lassen. Eine zynische Art zu denken, wie Rhodan fand.

Seine Gedanken kehrten zurueck zu der Begebenheit, als er einmal mehr herausfand, dass er erst in zweiter Linie Unsterblicher, in erster Linie allerdings immer noch Mensch war. Michael hatte ihn um etwas gebeten, wozu er durchaus das Recht, und viel schlimmer noch Perry das Geld hatte, und Rhodan hatte ihn zurueckgewiesen. Er hatte diese Fehler als Vater eigentlich nie machen wollen, aber wie schon erwaehnt, war er doch in erster Linie immer noch Mensch und Erfahrungen halfen einem auch nicht immer.

In diesem Fall jedenfalls hatten sie nicht geholfen.

Laechelnd erhob er sich aus dem Stuhl und ging ins Haus zurueck. Ganz gegen seine Gewohnheit schenkte er sich ein Glas Scotch and Dry ein und ging wieder in den Garten hinaus. Die Sterne spiegelten sich in der bernsteinfarbenen Fluessigkeit, als Rhodan einen Blick auf sein Glas warf, und er nahm einen Schluck von dem Getraenk.

Michael war eigentlich gar nicht so weit entfernt, auf Mimas hatten sie ihn in die Klinik gebracht. Allerdings ging es ihm nicht sehr gut, sein Koerper wurde immer noch von Shabbazzas kleinen Helfern kontrolliert. Ob er jemals wieder in Ordnung kommen wuerde?

Seine derzeitige Frau und die Mutter seines vierten Kindes war allerdings sehr weit entfernt. Er dachte kurz an Mondra, verdraengte dann allerdings die Gedanken an sie. Sie war einfach zu wei entfernt und er in seiner Heimat, allerdings einsamer, als jemals zuvor in seinem Leben.

 

25. Dezember, 0.45 Uhr

 

Rhodan bezweifelte, dass es noch schlimmer werden konnte. Er fuehlte sich einsam und sehnte sich danach, seine geliebte Frau Mondra in die Arme nehmen zu duerfen. Zu lange schon hatte er dieses Gefuehl, jemanden zu lieben, vermisst. Endlich hatte er es wiedergefunden, war sich nicht laenger wie eine Maschine vorgekommen. Und dann mussten all diese Dinge geschehen, er musste in die Milchstrasse zurueckkehren, obwohl er eigentlich noch gar nicht hierher wollte, sie musste in einer anderen Galaxis gestrandet sein.

Wie konnte dieser Tag noch schlimmer werden?

Ein Geraeusch liess ihn herumfahren. Er verwuenschte den letzten Gedanken, den er gehabt hatte, als er die Dunkel gekleidete Gestalt sah, die aus der Tuer in den Garten getreten war. Die Gestalt ging zielstrebig auf den Terraner zu. Wie sie in das Haus gekommen war, war dem Terraner schleierhaft, aber anscheinend war es der Person gelungen, saemtliche Sicherheitsschaltungen zu umgehen.

In der Hand der Person lag ein Stahler. Die Abstrahlmuendung war aktiviert, Rhodan blickte nervoes auf das Flimmern in der Muendung.

>Was kann ich fuer Dich tun?<, fragte der Unsterbliche, nur scheinbar vollkommen ruhig.

>Du koenntest endlich sterben, wie Du es eigentlich schon vor vielen Jahrhunderten haettest tun sollen.<

>Warum? Was ist Dir an meinen Tod gelegen?< Rhodan versuchte, den Mann in ein Gespraech zu verwickeln, um ihn von seinen Absichten abzuhalten.

Der Unbekannte schuettelte den Kopf. >Wenn hier einer Fragen stellt, dann bin ich das. Aber eigentlich ist jedes weitere Wort ueberfluessig. Ich wuensche Dir einen schoenen Tod, Perry Rhodan.<

>Warte. Wenn Du mich toetest, dann wirst Du diese Tat niemals ungeschehen machen koennen. Warum willst Du diese Schuld auf Dich laden?<

>Das ist meine Sache.<

>Sicher, aber es muss doch einen Grund geben, dass Du mich tot sehen willst? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Du das alles einfach nur aus Spass machst.<

Der Unbekannte seufzte.

>Du gibst wohl nie auf, was? Nun, dann will ich Dir eine Antwort geben.

In den letzten Jahren ist sehr viel auf Terra geschehen. Es war schoen, zu sehen, wie sich die Menschheit von euch Unsterblichen emanzipierte. Endlich haben wir es geschafft, auch mal ohne euch durch das Leben zu gehen. Eine Menge Dinge haben wir erreicht, und wir haben sie ohne euch Unsterblichen erreicht. Das war gut.

Nun aber sieht es aus, als wuerde vor allem dieser LFT-Kommissar euch wieder nach Terra holen wollen. Seit sie dich zum sechsten Boten gemacht haben, hat sich die Stimmung der Menschen gewandelt. Viele wollen dich wiederhaben, wollen dich wieder auf Terra sehen. Sie wollen die alte Diktatur zurueck, die wir schon ueberwunden glaubten.

Deshalb will ich dich tot sehen. Wenn du stirbst, dann wird sich das Problem von allein erledigen.<

Rhodan schwieg nachdenklich, waehrend er darauf wartete, dass der Unbekannte schoss. Aber der Mann schoss nicht und Rhodan fragte sich, warum er zoegerte.

>Ich glaube nicht, dass du recht hast. Denn selbst wenn du mich toetest, dann wirst du niemals die Meinungen eines ganzen Volkes veraendern koennen. Deine Tat wird nichts aendern. Sie werden mich hassen oder lieben, egal was du tust. Und wenn du mich umbringst, dann werden sie viel schneller auf meiner Seite sein, als dir lieb sein kann. Ich habe dann zwar nichts mehr davon, aber du wirst das Gegenteil von dem erreichen, was du willst.<

Rhodan verstummte. Alles, was er sagte, war richtig. Aber das musste sein Gegner eigentlich selber wissen. Der Unsterbliche fragte sich, was wirklich hinter der Sache steckte. Sicher konnte es sich bei dem Mann um einen Verrueckten handeln, dann wuerde er vergebens nach einer Begruendung suchen. Aber dafuer hatte der Mann eigentlich viel zu vernuenftig geklungen.

Anscheinend hatten die Worte des Unsterblichen etwas bewirkt, denn die Muendung der Waffe senkte sich langsam. Allerdings zielte sie immer noch gefaehrlich in Perry’s Richtung. Der Unsterbliche huetete sich, eine Bewegung zu machen. Der Eindringling musste die Waffe freiwillig ablegen, dann hatte nicht nur Rhodan, sondern auch der Unbekannte eine Chance, die Angelegenheit zu ueberstehen.

>Warum bist du ueberhaupt wieder nach Terra gekommen, Perry Rhodan? Die Menschheit will dich nicht mehr hier sehen, wir wollen endlich unseren eigenen Weg gehen. Warum kannst du uns nicht in Ruhe lassen?<

>Ich glaube, du verstehst das falsch.<

Rhodan liess sich langsam in einem Liegestuhl nieder, ohne zu beachten, dass der Eindringling langsam die Waffe anhob. Als er erkannte, dass Rhodan sich nur hinsetzte, liess er die Waffe allerdings wieder sinken.

>Du darfst nicht vergessen, dass ich auf dieser Erde geboren bin. Das ist nun schon einige tausend Jahre her und damit habe ich mehr erlebt, als jeder andere Mensch dieser Erde, abgesehen von einigen der anderen Unsterblichen. Aber glaube nicht, dass diese ganzen Jahre nur einfach schoen waren. Glaube nicht, dass Unsterblichkeit nur Freude bedeutet. Sicher, man muss sich keine Sorgen darueber machen, ob man die naechsten Jahre ueberlebt. Aber eines gewaltsamen Todes kann jeder von uns sterben.

Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Die meisten von uns hatten genug Zeit, um sich an diesen Gedanken zu gewoehnen.

Viel schlimmer ist, dass wir alle unsere Freunde, die nicht zu den Unsterblichen gehoeren, verloren haben und verlieren werden.

In DaGlausch habe ich eine Frau verlassen, die ein Kind von mir erwartet. Wahrscheinlich werde ich sie wiedersehen, aber ich werde laenger leben als sie und laenger als das Kind.

Weisst du, was es bedeutet, wenn man immer aelter wird und alle Menschen, die einem etwas bedeuten, sterben? Du kennst dieses Gefuehl vielleicht, aber du hast wenigstens aussichten, ihnen zu folgen. Wir muessen mit dieser Last immer leben und glaube nicht, dass man sich jemals darangewoehnt. Es gibt nichts schlimmeres, als Freunde sterben zu sehen.<

Der Unsterbliche verstummte bewegt. Schweigend hob er den Blick zu den Sternen, die ueber ihm erstrahlten und fixierte besonders intensiv den riesigen Ball des Mondes, der den nachtdunklen Himmel etwas erhellte. Dort hatte alles angefangen.

Die Gestalt, die neben ihm stand, hatte die Waffe nun endgueltig sinken lassen und folgte dem Blick Perry Rhodans in die Unendlichkeit des Alls. Wenn der Unsterbliche gewollt haette, dann haette er den Mann nun sehr einfach entwaffnen koennen. Aber er verzichtete darauf, war auch viel zu sehr von seinen eigenen Gedanken gefangen.

Der andere liess sich in den Liegestuhl neben Rhodan sinken, dann richtete er das Wort an den Unsterblichen.

>Wenn es so unertraeglich ist, warum habt ihr dann nicht schon lange euer eigenes Leben beendet?<

Rhodan warf ihm einen Seitenblick zu, dann richtete er den Blick wieder gen Himmel.

>Ich habe fast mein ganzes Leben zwischen den Sternen verbracht und trotzdem habe ich noch nicht alles gesehen. Ich will vieles wissen, wenn auch nicht alles. Nicht umsonst habe ich die Antwort auf die dritte ultimate Frage abgelehnt. Es gibt Dinge, die wir besser nicht wissen sollten.

Aber die Unendlickeit unseres Universums, die Unendlichkeit aller Universen, ist etwas, das ich kennenlernen moechte. Und vielleicht reicht nicht einmal mein Unsterbliches Leben, um alles zu sehen zu bekommen.

Glaube mir, es gibt durchaus Dinge, fuer die zu Leben sich lohnt.

Allerdings ist mit einer solchen Art des Lebens auch eine grosse Verantwortung verbunden. Verantwortung fuer sich selbst und andere.

Daher habe ich einen grossen Teil meines Lebens damit verbracht, fuer die Menschen da zu sein. Ich habe mich nie als der Herrscher Terras und des Solaren Imperiums verstanden, ich war immer nur ein Verwalter. Ein Verwalter, der so lange die Verwaltung innehaben sollte, bis die Terraner in der Lage sein wuerden, ihrer Verantwortung innerhalb diese Universums gerecht zu werden. Das ist nun der Fall.

Glaube mir, nichts liegt mir ferner, als wieder der Herrscher dieser Welt zu werden. Ich bin mit meiner Rolle als Abgesandter der Menschheit mehr als zufrieden, in Wahrheit ist es alles, was ich jemals wollte.

Warum ich auf die Erde zurueckgekommen bin, fragst du mich?

Ganz einfach. Vor vielen Jahrhunderten bin ich auf dieser Erde geboren. Es ist fuer mich eine Heimat in diesem Universum, und obwohl ich mehr Zeit meines Lebens ausserhalb dieser Atmosphaere verbracht habe, ist diese Welt trotzdem der wichtigste Bezugspunkt fuer mich. Hier leben die Menschen, die mir etwas bedeuten, hier lebt das Volk, das ich ins All gefuehrt habe. Hier bin ich zu Hause, und das ist alles, was zaehlt.<

Der Terraner verstummte fuer eine lange Zeit und der Eindringling schwieg beeindruckt. Er stoerte Perry Rhodan nicht in seinen Gedanken, aber er steckte die Waffe weg.

>Wenigstens ist ein Vertreter der Menschheit an diesem Weihnachtsabend bei mir. Auch wenn er mich umbringen wollte, aber wenigstens muss ich diesen Abend nicht alleine verbringen.<

>Tut mir leid, Rhodan, aber ich fuerchte, ich kann nicht bleiben. Auch ich habe eine Familie.<

Der Eindringling verstummte, dann schaute er dem Unsterblichen fest in die eisgrauen Augen.

>Ich wollte dich toeten und ich dachte, dass ich damit der ganzen Menschheit eine gefallen tun wuerde. Endlich eine Gelegenheit, das Monster umzubringen, dachte ich. Das Monster, das die Zeit betrogen hat und schon viel zu lange Teil dieser Welt ist. Aber ich habe mich geirrt. Du bist kein Monster, Perry Rhodan, auch du bist nur ein Mensch ...<

Mit diesen Worten wandte sich der Terraner um und verliess das Grundstueck des Terraners.

 

25. Dezember, 3.17 Uhr

 

Lange Zeit war der Unsterbliche einfach in seinem Liegestuhl sitzen geblieben und hatte die Sterne beobachtet. Nichts hatte sich bewegt, keine Geraeusche hatten ihn gestoert, schliesslich war der Unsterbliche eingeschlafen.

Ein Geraeusch liess ihn erwachen und er erblickte einige seiner besten Freunde, einige der Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Nicht alle waren in den weiten des Alls verschwunden, im Augenblick waren sogar die meisten in der Naehe. Reginald Bull, einer seiner aeltesten Freunde, Gucky und sogar Icho Tolot waren anwesend. Einige der anderen waren in der Naehe, allerdings nicht unter den Besuchern. Sein Sohn war auf dem Saturn-Mond Titan, wo man versuchte, ein Mittel gegen die fremde Macht in seinem Koerper zu finden.

Letztendlich waren ihm doch einige Freunde geblieben. Das war besser, als nichts. Eigentlich war es das Beste, was es auf der Welt geben konnte. Und es war mit Sicherheit das Beste Weihnachtsgeschenk, das sie ihm machen konnten.

Seine Freunde waren eingetroffen. Nun konnte es doch noch ein wunderbares Weihnachtsfest werden.

 

E N D E

© Ralf König 1999